Wo ist der Stammtisch?

DORFKNEIPE Eine Feldforschungsreise nach Brandenburg

Platte Sprüche, Skat und Biertisch-Populismus – keine andere ländliche Institution ist so klischeebeladen wie die Dorfkneipe. Doch was steckt hinter dem Schreckgespenst Stammtisch?

Schon im nordöstlich von Berlin gelegenen Biesenthal werden wir enttäuscht: Ein Messingschild mit der vielverheißenden Aufschrift „Stammtisch“ baumelt einsam im unerwartet dünnen Zigarettenqualm und der einzige Gast vor Ort schenkt uns Bier ein – er vertritt Wirtin Christiane, die gerade einkaufen geht.

Wenige treffen sich hier immer noch regelmäßig, wie uns ein Neuankömmling verrät: „Vor der Wende, da gab es eine richtige Feierabendbier-Kultur“, erzählt er: „Die Arbeiter von der Kolchose stürzten aus dem Bus direkt hier rein.“ Aber wo es keine Arbeit mehr gibt, gibt’s auch keinen Feierabend. Und ergo kein Feierabendbier.

Die Arbeitslosenquote liegt hier bei circa zwanzig Prozent. Das ist im Rest des Landkreises Barnim nicht anders und auch mit Blick auf ganz Brandenburg nichts Besonderes. Aber hält das die Leute vom Kneipengang ab?

Mechthild Burk (Name geändert) führt eine Traditionskneipe im Landkreis Barnim und weiß Näheres: „Die Leute achten mehr auf den Geldbeutel. Die sitzen lieber unter sich in ihrem Vereinsheim um eine Bierkiste.“ Der berüchtigte Stammtisch, die Institution der Meinungsmache: Geschichte. An Mechthilds Stammtisch trifft sich nicht das ganze Dorf, sondern Cliquen: Die Imker haben ihren Imker-Stammtisch, die Autofans ihren Trabbi-Stammtisch. Das wirkt sich auch auf das soziale Miteinander im Dorf aus. „Man fremdelt“, sagt Mechthild Burk.

Ein älterer Herr ist zutraulich, und endlich bekommen wir das zu hören, was stadtläufig als „Stammtischparolen“ bekannt ist: „Nach der Wende ging’s bergab“ – „Und dann kam auch noch der Euro“ – „Früher, da hatte hier jeder Arbeit“. Nachdem wir uns verabschiedet haben, schaut er wieder schweigend in sein halbleeres Bierglas.

Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung? Ob der Taxifahrer auf der Suche nach dem verlorenen Stammtisch helfen kann? „Ja, Mittwochs is’ doch der Trabbi-Stammtisch.“ Nein, so einen „richtigen“ Stammtisch, wo das ganze Dorf zusammenkommt und redet. „Ne, du, die Zeiten sind vorbei.“ Er empfiehlt uns ein, zwei Kneipen in Bernau, einer Stadt, versteht sich: „Aber da sind jetzt höchstens drei Leute. Und reden tun die auch nicht.“DOMINIK LENZE, THOMAS MENNE