Nobelpreis unwahrscheinlich

WIKILEAKS Bradley Manning, der die Enthüllungsplattform Wikileaks mit US-Dokumenten versorgt haben soll, droht im jetzt beginnenden Prozess im Extremfall die Todesstrafe

Manning könnte aufgrund von Aussagen verurteilt werden, die nur die Militärs im Gericht prüfen können

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Der an diesem Montag in Fort Meade (Maryland) beginnende Militärprozess hat historische Dimensionen: Verhandelt wird das mit mehr als 700.000 veröffentlichten Geheimdokumenten größte Datenleck der US-Geschichte und es ist der bisherige Höhepunkt der Verfolgung von „Whistleblowern“ durch die Obama-Regierung. Und er hat mit dem 25-jährigen Gefreiten Bradley Manning einen Angeklagten, der nach eigenem Bekunden ganz allein gehandelt hat und dabei nur seinem Gewissen folgte.

Seit Mai 2010, als er in US-Militärgewahrsam kam, ist Manning zu einem internationalen Helden geworden. Die Solidaritätsbewegung wurde stärker, je härter der Gefreite schon vor Prozessbeginn behandelt wurde: Mit der fast einjährigen Isolationshaft handelten die USA sich international den Vorwurf der Folter ein.

Am Wochenende vor Prozessbeginn skandierten Demonstranten in London, Kabul und Melbourne „Ich bin Bradley Manning“. Auch vor Fort Meade protestierten am Samstag Hunderte. Sie verlangten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Folterer statt gegen den Aufklärer. Für ihn forderten sie Freilassung und den Friedensnobelpreis.

Unter den Demonstranten waren Veteranen der Kriege in Afghanistan und Irak, frühere „Whistleblower“, Aktivisten der Schwulenbewegung sowie Antimilitaristinnen der Gruppe Code Pink. Es fehlten jedoch Menschenrechtsgruppen sowie Organisationen vom linken Flügel der Demokratischen Partei.

Aktivisten prozessieren gegen die Geheimhaltung bei dem Gerichtsverfahren. Von den mehr als 100 Zeugen der Anklage sollen zwei Dutzend ohne Bekanntgabe ihrer Identität unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen. Darunter mindestens einer der Elitesoldaten, die am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden töteten. Manning könnte aufgrund von Aussagen verurteilt werden, die nur die Militärs im Gericht überprüfen können.

Die geleakten Dokumente aus US-Diplomatie und -Kriegen, die Details über Folter und andere Kriegsverbrechen sowie über das Gefangenenlager Guantánamo enthielten, spielten eine Rolle im Arabischen Frühling, lieferten Pazifisten Argumente und beschäftigten Wissenschaftler und Journalisten weltweit. Aber weil auch Al-Qaida-Führer sie gelesen haben, lautet einer der 21 Anklagepunkte gegen Manning „Kooperation mit dem Feind“. Zu den anderen Anklagepunkten gehören Weitergabe von Geheimnissen, Diebstahl von öffentlichem Eigentum und Betrug per Computer. Weist das Militärgericht Manning nach, dass er vorsätzlich al-Qaida informierte, könnte er trotz anderslautender Absichtserklärungen der Anklage zum Tod verurteilt werden.

Während die Anklage die nationale Sicherheit der USA in den Vordergrund stellen will, die von Manning gefährdet worden sei, sprach er in den Hearings vor Prozessbeginn davon, dass er eine öffentliche Debatte auslösen wollte – über Themen wie Krieg und Frieden, Angriffe von US-Soldaten auf Zivilisten und Kinder in Irak und Afghanistan. Seine Verteidiger sagen, er habe keine Leben gefährdet. Manning selbst bekannte sich bereits in zehn Anklagepunkten der Weitergabe von Geheiminformationen für schuldig. Allein dafür riskiert er 20 Jahre Haft.

Als Wikileaks 2010 mit der Veröffentlichung begann, forderte die US-Regierung ihre Beamten auf, die in US-Zeitungen und im Internet veröffentlichten Dokumente nicht zu lesen. Als der Sprecher der damaligen Außenministerin Hillary Clinton den Umgang mit Manning „dumm und kontraproduktiv“ nannte, verlor er seinen Job.

Sollte Manning im Sommer verurteilt werden, würde das auch die journalistische Arbeit in den USA treffen. Militärrichterin Denise Lind erklärte bereits, sie würde identisch vorgehen, hätte Manning seine Informationen nicht Wikileaks, sondern direkt der New York Times gegeben. Enthüllungsjournalisten verstehen das als Drohung.