noch mal enzyklika etc.
: Credo quia absurdum

„Zur Reife der Liebe gehört es, dass sie alle Kräfte des Menschseins einbezieht, den Menschen sozusagen in seiner Ganzheit integriert“, heißt es in der ersten Enzyklika Benedikts XVI., und man wird geneigt sein, diese durchaus bürgerliche Idee der Selbstvervollkommnung des Menschen in der Liebe in ihrer einerseits romantischen und erotischen, andererseits in ihrer eschatologischen Dimension für irgendwie praxisfern zu halten. Zweierlei freilich bleibt wirklich bemerkenswert an dem Text des Papstes.

Das eine ist seine auch schon in seiner Theologie stets verfolgte Versöhnung von Glaube und Vernunft: „Die Erkenntnis des lebendigen Gottes ist Weg zur Liebe, und das Ja unseres Willens zu seinem Willen einigt Verstand, Wille und Gefühl zum ganzheitlichen Akt der Liebe.“ Die Versöhnung mit der Vernunft und dem Willen könnte man fast als eine ironische Kritik an der religiös-romantischen Großinszenierung des Religiösen des letzten Jahres lesen, die ja durch die Macht der Bilder, des Prunks und authentischer Bekenntnisse in der Öffentlichkeit lebte. Benedikt scheint die Vernünftigkeit des Glaubens dagegenzusetzen – und dass die Vernunft sich vor allem in der Liebe zeigen soll, die in unseren kleinen Leben ja meist die unvernünftigsten Entscheidungen hervorbringt, ist wirklich ironischer als ihr Zeigefingerton, denn das scheint der strategische Vorteil religiöser Kommunikation zu sein: solche Widersprüche und Differenzen auszuhalten und vorzuführen.

Und genau das ist das zweite Bemerkenswerte. Die Enzyklika ist modern in dem Sinne, dass sich der Papst auf das „Kerngeschäft“ des Religiösen zurückzieht – die Fundierung des Glaubens, der eben ganz anders operiert als das Politische oder das Ökonomische. Diese Einsicht in die Ausdifferenzierung des Glaubensmediums freilich erlaubt es ihm, Forderungen an die Eigenlogik des Politischen und des Ökonomischen zu stellen – und wider alle Erfahrung eine Koinzidenz der unterschiedlichen Perspektiven zu fordern. Er findet sie in der Liebe, die ihm in ihrer integrativen Kraft jene coincidentia oppositorum – den Zusammenfall der Widersprüche – stiftet, die Nicolaus Cusanus zum Lieblingsheiligen aller Intellektuellen gemacht hat. Denn davon träumen Intellektuelle stets: von der Koinzidenz der Perspektiven in einer Welt, die ihnen ihre Sprecherposition gerade dadurch ermöglicht, dass es diese Koinzidenz nicht (mehr) gibt. Der strategische Vorteil des Religiösen besteht vielleicht darin, dies mit einem trotzigen credo quia absurdum vortragen zu können: Ich glaube, weil es widersinnig ist.

ARMIN NASSEHI