Putin findet den Stein des Anstoßes

Kalter Krieg zwischen Russland und Großbritannien: London spioniert in Moskau und finanziert zugleich russische Menschenrechtsorganisationen, behauptet der Kreml und rechtfertigt so die Knebelung der eigenen Zivilgesellschaft

von BARBARA KERNECK

Ein künstlicher Felsen in einem Moskauer Park ist zum Kristallisationskern einer neuen Krise der Beziehungen zwischen der EU und Russland geworden. Laut einem Sprecher des russischen Geheimdienstes FSB soll der Stein vier britischen Diplomaten als Spionageinstrument gedient haben, während einer von ihnen, Botschaftssekretär Mark Doe, Geld an 12 russische Nichtregierungsorganisationen weiterleitete, darunter an die Moskauer Helsinki-Gruppe und die von der EU mitbegründete New Eurasia Foundation.

Seit dem 22. Januar präsentiert das Fernsehen immer wieder den Stein des Anstoßes, in dessen Innerem ein Sender installiert gewesen sein soll, über den britische Agenten beim Spazierengehen Daten übertragen konnten. Der Kreml und die Duma benutzen die Anschuldigungen, um ein umstrittenes Gesetz zur Gängelung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) generell zu rechtfertigen. Dieses war Ende Dezember in zweiter Lesung trotz der Proteste führender EU-Vertreter verabschiedet worden. Dank des Tumults um den falschen Felsen wurde erst jetzt bekannt, dass es bereits von Präsident Putin unterzeichnet worden ist und im April in Kraft treten soll.

Angesichts der für 2007 bevorstehenden Duma- und der 2008 zu erwartenden Präsidentenwahl bemüht sich der Kreml, aufmüpfige Bürgerrechtler an die Leine zu nehmen. Vom Ausland geförderte NGOs hatten nämlich eine führende Rolle bei der „samtenen“, der „singenden“ und der „Revolution in Orange“ in Georgien und der Ukraine gespielt. Das neue Gesetz verbietet unter anderem die Mitgliedschaft von Ausländern in NGO-Aufsichtsgremien und untersagt solchen Organisationen Aktivitäten, die „Russlands Interessen“ widersprechen. Es bedroht besonders das 20-Millionen-Euro-Aufbauprogramm der EU in Tschetschenien.

Ein kalter Krieg der Parlamente folgte auf die Felsenkrise. Die parlamentarische Versammlung des Europarats erklärte am Mittwoch, das russische NGO-Gesetz verletze die europäischen Normen. Zugleich forderte sie von der Duma in Moskau einen Ausschuss zur Untersuchung der „schweren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien“. Die russischen Parlamentsabgeordneten, auch nicht faul, appellierten ihrerseits an ihre europäischen Kollegen, die „Finanzierung russischer NGOs durch ausländische Geheimdienste“ zu verurteilen.

Der FSB hatte allerdings gar nicht behauptet, dass der britische Botschaftssekretär Doe NGOs im Rahmen seiner angeblichen Spionagetätigkeit finanziert hat. Als Quelle der Gelder wurde vielmehr die Stiftung Global Opportunities des britischen Außenministeriums genannt, die Programme zur Förderung der Zivilgesellschaft in über 80 Ländern der Welt unterstützt. Die britische Regierung gewährt außerdem Präsident Putins Erzfeinden politisches Asyl: dem ehemaligen Regierungssprecher Tschetscheniens, Achmed Sakajew, und dem Oligarchen Boris Beresowski.

Russlands Präsident, einst selbst ein Spion, trat ebenfalls am Mittwoch auf, im Fernsehen. Es sei „bedauerlich, dass ausländische Geheimdienste in Russland NGOs finanzieren“, sagte er und kam prompt auf das neue Gesetz zu sprechen. Es solle „ausländische Regierungen davon abhalten, sich in die interne Politik Russlands einzumischen“. Russlands Präsident formulierte schließlich die Erkenntnis: „Noble Ziele kann man nicht mit unangemessenen Mittel erreichen.“ Putin ließ durchblicken, dass die russische Regierung künftig einheimische NGOs selbst finanzieren wolle.