PENETRANTE FILMEMACHER, CRYSTAL-METH-KOCHER UND IM HINTERGRUND LÄUFT IGGY POP
: Gemeinsame und vertraute Helden wie die Daltons

VON DETLEF KUHLBRODT

Dann hatte ich Robert, einen Freund aus München, im Kumpelnest getroffen. Wir hatten uns 15 Jahre nicht gesehen. Mittlerweile war er Professor geworden. Sein Sohn sitzt nun schon zum dritten Mal in der Kinderfilmjury. Ich hatte ganz vergessen, wie nah das Kumpelnest am Potsdamer Platz liegt. Vor allem darf man rauchen. Im Hintergrund lief „I Wanna Be Your Dog“ von Iggy Pop.

Tagszuvor hatte ich die ersten Weidenkätzchen gesehen. Wir rauchten und redeten über den Autorenfilm aus den 70ern pp., über alte gemeinsame Helden wie Herbert Achternbusch, wie schade es doch irgendwie ist, dass es nur noch so wenige gibt, die den immer konventionelleren Erzählweisen etwas Eigenes entgegensetzen. Ich dachte an den neuen Film von Lothar Lambert. Mit 17 Filmen ist er der meistgespielte Regisseur der Berlinale. Für „Alle meine Stehaufmädchen“ hat er elf Frauen interviewt. Wer sich im Lambert-Universum auskennt, bewegt sich auf vertrautem Terrain: Die in die Jahre gekommenen Heldinnen sind einem vertraut. Für Einsteiger ist es schwieriger; wer ist diese resolute 60-Jährige, die davon erzählt, wie sie einen ihrer Freunde zur Geburtstagsfeier hatte einladen wollen und ihn erhängt in seiner Wohnung gefunden hatte? Wieso will dieser hier oft penetrant wirkende Filmemacher, dass sie ihm ihre Brüste zeigt? Banale und tragische Lebensgeschichten stehen nur durch Halbsätze voneinander getrennt nebeneinander. Was auf den ersten Blick flapsig, unangemessen wirkt – Gewalterfahrungen und Tod in Nebensätzen, hat mit Alter zu tun; Wunden bilden Narben; die flapsigen Nebensätze sind die Narben, nicht der Schnitt.

Der großartige amerikanische Spielfilm „Winter’s Bone“ von Debra Granik, der ebenfalls im Forum gezeigt wird, spielt in den Bergen Missouris, in einer heruntergekommenen, brutalen, archaischen Welt. Die Heldin, die 17-jährige Ree, sucht ihren Vater, einen Crystal-Meth-Kocher, der untergetaucht ist und das Haus der Familie verpfändet hat. Die Welt der schweigenden Outlaws bis hin zu einem Hells-Angels-mäßigen furchterregenden Godfather, ist durchgehend überzeugend, oft dokumentarfilmmäßig gezeichnet. Um zu beweisen, dass es sich tatsächlich um ihren Vater handelt, muss die Heldin … Nein, das erzähl ich jetzt lieber nicht; der Plot ist jedenfalls ganz ausgesprochen gruselig und man beruhigt sich dann wieder, indem man die Helden dieses Films mit den „Daltons“ vergleicht. Irgendwie erinnern sie aber auch an die Paschtunen.

Dann war es schon spät. Ich stand noch im Cinemaxx herum, überließ mich den Eindrücken, es war schön hier, so für sich zu stehen für ein paar Momente. Die Zeit, in der man hier noch rauchen durfte, schien unendlich weit weg zu sein. Eigentlich war alles okay. Nach dem Film ist es hier viel besser als im Berlinale Palast; auch vor dem Kinokomplex, wo die anderen Filmfreunde in der schönen Winterluft rauchten.

Ein dünner alter Mann in einem König-aus-dem-Morgenland-Kostüm und einer Tasche voller gelber Tulpen ging unaufdringlich zu den Pärchenmenschen, segnete sie mit einem roten Herzen, das an einem Stab befestigt war. Manche kauften Blumen. Als er an mir vorbei ging, sagte ich, „ich bin aber allein“, bekam aber trotzdem einen Herzenssegen geschenkt. Erst später fiel mir ein, dass ja Valentinstag war und außerdem auch chinesisches Neujahr. „Dear Friends, Tiger is coming!“, hatte Freund Wangtaocheng aus Schanghai geschrieben. „Look at it’s eyes.“