Doch noch vollendet

Niemand hatte den HSV Handball in dieser Saison noch für irgendeine Glanzleistung auf dem Zettel. Doch dann explodierte die Mannschaft von Trainer Martin Schwalb beim Final Four-Turnier in Köln und entzauberte nacheinander die großen Favoriten und Serienmeister THW Kiel und FC Barcelona. Das Finale wurde zum Spiel eines anderen Abgeschriebenen – des HSV-Mittelmanns Michael Kraus.

Der 29-Jährige, dessen Rückkehr zu seinem Heimatverein Frisch Auf Göppingen in der kommenden Saison feststeht, schien sein dreijähriges Gastspiel beim HSV zu beenden, ohne große Spuren zu hinterlassen. Schien seinem Ruf als bissloser Sunnyboy gerecht zu werden, schien der „Unvollendete“ zu bleiben.

Auch gegen Kiel im Halbfinale stand er keine Minute auf dem Parkett, ebenso in der ersten Hälfte des Finales. Aber dann begann etwas, das den abgedroschenen Begriff „Handball-Märchen“ rechtfertigt. Mit unglaublichem Selbstbewusstsein nahm „Mimi“ das Heft in die Hand, traf aus allen Lagen und setzte seine Mitspieler traumhaft sicher in Szene. Am Ende des 30:29 Sieges nach Verlängerung standen für ihn sechs Tore und mehrere erstklassige Anspiele zu Buche.

Am Tag danach war viel vom „Geist von 2007“ die Rede. Damals hatte Kraus als Nobody die deutsche Nationalmannschaft in eben dieser Halle, der Arena in Köln, zum Weltmeistertitel geworfen. „Ich hatte diesen Traum vom Finale schon seit drei Wochen“, verriet Kraus nach der Partie. „Mir schwirrte die ganze Zeit dieser Satz im Kopf herum: ‚Ein Finale spielt man nicht, ein Finale gewinnt man!‘“

Während Kraus von seinen Mitspielern fast erdrückt wurde, blieb der ebenfalls in der Halle weilende Bundestrainer Martin Heuberger nüchtern. „Das muss er über einen längeren Zeitraum bestätigen“, sagte er auf die Frage nach einer Rückkehr von Kraus in die Nationalmannschaft. Dabei kann es doch auch eine Qualität sein, im richtigen Moment voll dazu sein. Besonders, wenn keiner mit einem rechnet.  RLO