IM SCHWIMMBAD
: Allet frisch

Ist das da drüben nicht Peter Scholl-Latour?

„Is schon paar Jährchen her, aber dit ha’ck ma jemerkt“, sagt Gert Fröbe zu Chruschtschow I, während sich einer der beiden Alten aus der Muppet Show zu ihnen gesellt. Der mit der Adlernase, Statler, glaube ich. Gert Fröbe lehnt am Beckenrand wie an einer Theke, den Ellbogen lässig aufgestützt. Um seinen Hals hängt eine blaue Schwimmbrille. „Allet frisch?“, fragt Statler. „Allet frisch!“, erwidert die Runde.

Samstagvormittag im Märkischen Viertel, ich ziehe meine Bahnen und gucke. Im Schwimmbad fallen einem außerordentliche Dinge auf. Zum Beispiel, dass die Brustwarzen von Männern mal enger zusammen und mal weiter auseinander stehen, wie die Augen in einem Gesicht. Was ich auch festgestellt habe: Alte Männer in Badehose sehen meistens aus wie bekannte Persönlichkeiten.

Chruschtschow II ist ein kleines bisschen dünner als Chruschtschow I. Jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, frage ich mich, welcher dem Original ähnlicher ist. Mit Gert Fröbe und Statler stehen sie jetzt vorne im Nichtschwimmerbereich, genießen den Auftrieb ihrer Bäuche und bilanzieren ihr Leben. „Dit ha’ck ma jemerkt“ ist ja praktisch die Quintessenz eines Lebens. Was genau des Merkens für würdig befunden wurde, geht in Rauschen und Kindergeschrei unter.

Ein grauer Fünftagebart pflügt durchs Wasser: Matthias Habich. Man kennt den Charakterkopf aus TV-Produktionen, etwa als Victor Klemperer, den jüdischen Professor in „Klemperer – Ein Leben in Deutschland“. In seinen Ohren stecken Stöpsel. Er hält nichts vom Rumstehen, er tut was für seinen Körper. Ist das da drüben nicht Peter Scholl-Latour? Gerade als ich mich frage, warum alte Frauen im Schwimmbad einfach nur aussehen wie sie selbst, zieht stoisch ein Paar vorbei. Es handelt sich eindeutig um zwei der netten Monster aus „Wo die wilden Kerle wohnen“. CLAUDIUS PRÖSSER