Nächstes Mal „musse gewonne“

Nach 252 Tagen Bundesligaabstinenz lief Ailton erstmals für den HSV auf den Rasen. Die Hamburger verlieren kläglich, Trainer Doll wähnt sich in der zweiten Halbzeit im „falschen Film“. Ein Film, der auch Turbo-Toni nicht gefallen haben dürfte

Die 24 in der Mitte eines Fußballerrückens, darüber sechs Buchstaben

Von Christina Stefanescu

Rückansicht: rote Schrift auf weißem Grund. Die 24 in der Mitte eines breiten Fußballerrückens, darüber sechs Buchstaben: AILTON. Gonçalves da Silva Ailton, alias Ailton, alias Toni, alias der Kugelblitz, ist zurück. Mit gesenktem Haupt läuft er aus den Katakomben des Nürnberger Frankenstadions auf den Platz.

Seine linke Hand umgreift die Finger eines kleinen Jungen. Kurzer Trab an die Mittellinie, Mannschaftsaufstellung. Die Kinder haben ihren großen Auftritt gehabt, der von Ailton wird in zwei Minuten erst so richtig beginnen. Er bekreuzigt sich, legt dann den Zeigefinger seiner Rechten ans rechte Nasenloch und macht es frei für den ersten Auftritt auf einem Bundesligarasen seit 252 Tagen. Am Mittwoch landete Ailton in Deutschland und ist seitdem der wohl meist besprochene Stürmer der Liga. In 198 Bundesligaspielen hat Ailton 102 Tore geschossen. Im 199. soll mindestens Tor Nummer 103 folgen. Noch vor einer Woche trainierte Ailton bei Beșiktaș Istanbul. Am Dienstag dann meldeten die Nachrichtenagenturen, dass der 32-Jährige für 450.000 Euro bis zum Saisonende an den HSV ausgeliehen wird. Außerdem sicherten sich die Hamburger eine Kaufoption für den Brasilianer.

Anpfiff. 177 Zentimeter brasilianische Stürmerherrlichkeit orientieren sich in Richtung des gegnerischen Strafraums, nicht zu schnell, Ailton eben. Noch läuft Turbo-Toni nicht auf Hochtouren. Gegen die Kälte joggt er zwischen Mittellinie und Torraum auf und ab. Die Hände des Torschützenkönigs von einst sind dick verpackt in schwarzen Handschuhen. Während Ailton auf den Ball wartet, verletzt sich in der dritten Minute Nürnbergs Marek Mintal. Diagnose: Mittelfußbruch, wie vor vier Monaten. Zwei Minuten nach Mintals Abgang beginnt Ailtons Spiel: sein erster Ballkontakt, genau 5 Minuten und 24 Sekunden nach Anpfiff. Drei Sekunden drippelt er mit dem Ball, einen Gegenspieler im Rücken, will dann abspielen. Will, aber es klappt nicht.

Also weiter joggen, in Schuhen, die laut Bild-Zeitung gerade einmal 174 Gramm wiegen. Ailtons neuer Verein ist an diesem ersten Spieltag der Rückrunde Tabellenzweiter, Nürnberg nur auf Platz 15. Eigentlich sollten die Hanseaten den Franken deutlich überlegen sein, doch sie sind es nicht. Zweimal scheitert Hamburgs Mehdi Mahdavikia in der 19. Minute aus 10 Metern an Nürnbergs Torwart Raphael Schäfer. Auch Nürnberg hat Torchancen. Nur knapp kann HSV-Torwart Wächter in der 25. Minute den Schuss von Dominik Reinhardt aus 25 Metern parieren. Zur Halbzeit steht es 0:0.

Ansonsten erwähnenswert: Die gelbe Karte für Stefan Beinlich, seine fünfte in dieser Saison. Er fehlt damit beim nächsten Spiel. Und Ailton? Der hat sich warm gelaufen, streift auf dem Weg in die Kabine die Handschuhe ab. In der zehnten Minute war er groß im Bild, als ihn sein Gegenspieler Andreas Wolf foulte und die gelbe Karte sah. Und in der 20. Minute schaffte er es, mit dem Ball bis auf 23 Meter an das gegnerische Tor heranzukommen, wurde gestoppt und musste sich in der 21. das rechte Knie mit Eisspray behandeln lassen. In der 30. kratzte er sich an der linken Augenbraue, in der 36. ward der Kugelblitz gar in der eigenen Hälfte gesehen, beteiligte sich allerdings nicht an der Abwehr des Tordranges der Nürnberger. Auch in der zweiten Halbzeit war Nürnberg kämpferisch die bessere Mannschaft. Obwohl Andreas Wolf nach einer sehenswerten Flanke von Hamburgs Piotr Trochowski den Ball in der 64. Minute ins eigene Tor leitete. Drei Minuten später traf Ivan Saenko aus 21 Metern das richtige Tor. 73 Minuten nach Anpfiff entschied der eingewechselte Stefan Kießling das Spiel für den 1. FC Nürnberg.

HSV-Trainer Thomas Doll wähnte sich in der zweiten Halbzeit im „falschen Film“. Ein Film, der auch Turbo-Toni nicht gefallen hat. Er schwitzte und schnaufte zwar mehr als in der ersten Halbzeit, flankte, dribbelte und kämpfte so gut er konnte. Doch in Szene gesetzt hat Ailton bei seinem ersten Auftritt für den HSV keiner seiner Mitspieler. Die weiten Bälle nach Linkshalb, wo der Kugelblitz am liebsten lauert, waren nicht gesichtet. Nach der Niederlage in Nürnberg hoffen jetzt alle in Hamburg auf eine baldige Besserung. Und Ailton? Der meinte nur: „Musse gewonne“, nächste Woche, gegen Arminia Bielefeld.