Progressive Elektro-Akustik

„Das ist meine Musik. Mein Bestes“: Die koreanische Opernsängerin und Grafikerin Ge-Suk Yeo entwickelt in Hamburg auf einem eigenen Label ihre stimmgewaltigen Improvisationen

„Bis dahin fühlte ich mich wohl im Klassikbereich – und auf einmal merkte ich, ich muss da raus“

von Tobias Richtsteig

Es geschah Anfang März vorigen Jahres in Vilnius. Gerade hatten Mouse on Mars ihr Set bei den Electro Music Days beendet. Da begann es um ein Uhr nachts schon wieder in den Boxen zu knistern, ein rauhes Rauschen meldete sich vernehmlich: Byungjun Kwon, ein junger DJ aus Korea, schickte seine postindustriellen Klangvisionen durch die Anlage. Dann meldete sich diese Stimme, ein Summen erst, ein paar dahingeworfene Silben – wie eine Operndiva, deren Aufwärmübungen in den digitalen Schredder eines Samplers geraten waren. Und richtig: die Frau neben dem DJ war ausgebildete Opernsängerin – und improvisierte hier mit den pulsenden Sounds des fernöstlichen Elektro-Samurai.

Es wurde noch eine lange Nacht. Der Auftritt mit Electro Opera e- ist nur eines der Projekte von Ge-Suk Yeo, der Stimmkünstlerin mit Wohnsitz an der Max-Brauer-Allee. Mit Ilgob Sorigori – sieben kleinen Geschichten aus der koreanischen Märchenwelt – eröffnete sie kürzlich das Hörkunstfestival in Erlangen und beständig entwickelt sie ihre Musik weiter, von Live-Improvisationen mit dem Cellisten Wittwulf Y Malik zu Dalbukki, einer neuen CD, die mit iPod und DJ-Sampler bearbeitete Stimme und Geräusche zu progressiver Elektro-Akustik verdichtet.

Aber wie kommt eine koreanische Opernsängerin nach Hamburg? Und – was der weitere Weg ist – zum freien Improvisieren? Schließlich sang Ge-Suk Yeo nach dem Studium in Seoul schon an der Nationaloper. Doch während Yeo dort Mozart und Puccini sang, keimte in ihr der Wunsch, Europa aus erster Hand kennen zu lernen. In dieser Zeit fiel in Deutschland die Mauer, und Berlin zog die Koreanerin unwiderstehlich an. Sie studierte an der HdK, nahm Belcanto-Unterricht und merkte, dass das Singen jahrhundertealter Rollen sie nicht ausfüllen würde. Schließlich kam Ge-Suk Yeo 1999 nach Hamburg – und nahm sich erst mal Zeit, die Stadt kennen zu lernen und Wege abseits der Opernszene zu finden. Sie besuchte zeitgenössische Komponisten und arbeitete an einem modernen Konzertrepertoire.

Ein Besuch beim Real Time Music Meeting – dem jährlichen Treffen internationaler Improvisations-Musiker in Altona, das 2002 der Hochglanz-Politik der Kultursenatorin Dana Horáková zum Opfer fiel – wurde schließlich zur Offenbarung: „Diese Musikalität hat mich fasziniert. Mein Gott, ich dachte, das sei nur in der Klassik so. Bis dahin fühlte ich mich wohl im Klassikbereich – und auf einmal merkte ich, ich muss da raus, muss gucken, wo bin ich eigentlich?“ Im Kontakt mit der Hamburger Improvisations-Szene lernte Ge-Suk Yeo eine neue Art des Austauschs kennen. „In der Oper sprach man nur über die Rollen. Ich bin immer Madame Butterfly, immer die Mimi und so weiter. Aber hier redete man miteinander über die Musik.“

Und die neuen Kollegen waren begeistert von der ausgebildeten Stimme, die musikalische Ideen unmittelbarer als jedes Instrument zum Ausdruck bringen konnte. Bei den ersten Proben blühte diese Stimme förmlich auf. „Ich hatte immer das Gefühl gehabt, ich müsse noch besser werden, einen Standard erfüllen. Aber jetzt war das meine Musik, mein Bestes.“ Dass freie Improvisation traditionell zum unkommerziellen Musik-Segment gehört, schreckte Ge-Suk Yeo nicht ab. „Ich hatte nie das Ziel, mit Musik viel Geld zu verdienen. In Korea war ich an der Oper angestellt, aber unglücklich. Jetzt bin ich bereit zum Verzicht, wenn die Musik gut ist.“

Wie gut ihre Musik seither ist, zeigen mittlerweile fünf CDs, die sie auf ihrem eigenen Label ART.cappuccinonet.com mit Hilfe ihres Partners Bernhard Wöhrlin veröffentlichte, und die MultiMedia-Installationen, mit denen sie in Polen, Dänemark, Belgien, Deutschland, den Niederlanden, USA und nicht zuletzt Korea zu erleben war. Als sie 2004 The Talking Wall im Seouler Maronnier Art Center zeigte – eine Performance im Dialog mit einer Video-Animation kalligraphischer Schriftzeichen – kam ein junger Koreaner auf sie zu: DJ Byungjun Kwon, der ihr das gemeinsame Projekt e- vorschlug. Zum Wintersemester kommt Kwon als Student nach Amsterdam; vielleicht ergibt sich 2006 eine Möglichkeit für ein gemeinsames Album.

http://art.cappuccinonet.com