Zwischen Weltelite und Hockeyalltag

Natascha Keller ist die bekannteste Hockeyspielerin Deutschlands – dennoch spielt sie oft vor 50 Zuschauern

Vor einer Woche noch stand Natascha Keller im Blickpunkt sportlichen Interesses. Am vergangenen Wochenende wurde sie dann schon wieder von der Öffentlichkeit generös ignoriert. Die bekannteste Hockeyspielerin Deutschlands pendelt zwischen zwei Welten, wie sie sagt. Vor acht Tagen gewann sie mit der Nationalmannschaft das Finale der Halleneuropameisterschaft gegen die gastgebenden Niederländer mit 4:2 vor 2.500 Zuschauern; sie selbst wurde zur besten Spielerin des Turniers gekürt. Am Samstagabend bestritt sie ein Bundesligaspiel vor 50 Zuschauern. In der Charlottenburger Sporthalle herrschte dabei Kirchenstille.

Man könnte vermuten, dass sie gern die eine Welt gegen die andere eintauschen würde. Aber das möchte sie eigentlich nicht. Ihren ursprünglichen Plan, sich für die Saisonhöhepunkte der Nationalmannschaft – Champions Trophy und Weltmeisterschaft – zu schonen, warf sie auf Bitten ihres Vereins, dem Berliner HC, kurzerhand über den Haufen. „Am liebsten will ich überall spielen“, bekennt die 28-Jährige.

Dabei bietet die Hallenspielrunde der Bundesliga Ost sportlich gesehen wenig reizvolle Aufgaben – zu überlegen ist der mit Nationalspielerinnen gespickte Berliner HC. Doch die im Jahre 1999 zur weltbesten Spielerin gewählte Keller erlaubt sich keine Extravaganzen. „Man kann sich nicht nur die Rosinen rauspicken“, sagt sie.

Natascha Keller ist pflichtbewusst. Zudem hasst sie Nachlässigkeiten. Deshalb konnte sie sich am Samstag nicht mit dem 14:3 Sieg gegen den SC Charlottenburg zufrieden geben. „Wir hätten 30:3 gewinnen müssen“, grollte sie. Immer wieder nehme sich die Mannschaft vor, sich nicht dem schwachen Niveau des Gegners anzupassen. Ohne Erfolg. So wie manchem Muttersprachler im Gespräch mit einem radebrechenden Ausländer plötzlich auch die eigenen Sätze verunglücken, so erwiderten die Frauen des Berliner HC die Fehlpässe des Gegners ebenfalls mit ungenauem Zuspiel. Ein Ärgernis für Keller. Egal gegen wen es geht: Die Berlinerin ist erst zufrieden, wenn ihr Team sein Potenzial ausgeschöpft hat.

Natascha Keller hat sich das stets selbst abverlangt. „Sie ist die überragende Persönlichkeit im deutschen Frauenhockey. An ihr richten sich alle auf“, sagt der Trainer des SC Charlottenburg, Claas Henkel. Selbstverständlich war Keller auch am größten Triumph des deutschen Frauenhockeys entscheidend beteiligt: Olympiagold 2004 in Athen. Die Mannschaft war als Außenseiter ins Turnier gestartet. Doch Keller erzählt, sie habe von vorneherein, an die Chance, das Optimum zu erreichen, geglaubt.

Hockey-Dynastie

In ihrer Familie ist das nichts Ungewöhnliches. Ihr Vater Carsten und ihr Halbbruder Andreas holten mit ihren Hockeyteams 1972 und 1992 Goldmedaillen. Ihr Großvater Erwin musste sich 1936 mit Silber begnügen. Nach Nataschas Erfolg von Athen ist viel über die Keller-Dynastie geredet und geschrieben worden. Zu viel, wie diese findet.

Natascha Keller selbst spricht nicht viel über ihre persönlichen Erfolge. Ja, sie habe mit 16 ihre erste Bundesligasaison gespielt und als Torschützenkönigin abgeschlossen, bestätigt sie. Und um diesem Umstand das Besondere zu nehmen, fügt sie hinzu: „Aber damals kannte mich keiner: Da war es noch einfacher, Tore zu schießen.“ Als ob man so dieses unglaubliche Debüt hinreichend erklären könnte.

Heute steht sie kurz vor dem Ende ihrer großen Karriere. Nach der Feldhockey-WM im Oktober in Spanien will sie eigentlich aufhören. Der Sport lässt sich mit ihrem Beruf als Versicherungsagentin nicht mehr vereinbaren. Den Olympiatitel 2008 in Peking zu verteidigen, fände sie allerdings reizvoll, sagt sie. Ihre Mitspielerinnen pflegen bei solcherlei Ungeklärtheiten zu sagen: „Du spielst doch sowieso.“ Bisher hatten sie immer Recht. JOHANNES KOPP