Kronzeugen gegen Enron-Bosse

In Houston beginnt heute der Prozess gegen die Exvorstände des US-Energieriesen. Sie sollen Milliardenverluste, die 2001 zur Konzernpleite führten, verschleiert haben

Enron wurde zum Inbegriff für schamlose Abzocke und laxe Ethik

WASHINGTON taz ■ Die Hotels rund um das Bundesgericht in Houston, Texas, sind von angereisten JournalistInnen ausgebucht. In den Lobbys stapeln sich Werbebroschüren mit „guten Nachrichten“ aus und über Houston. Die Stadt will weg von ihrem Skandalimage. Aus gutem Grund: Was ab heute hier verhandelt wird, ist einer der krassesten Fälle von Wirtschaftskriminalität in der Geschichte der USA.

Vier Jahre nach dem spektakulären Zusammenbruch des US-Energiekonzerns Enron müssen sich die beiden letzten Chefs des Unternehmens vor Gericht verantworten. Die Richter sollen herausfinden, ob der 63-jährige Ken Lay und der 52- jährige Jeffrey Skilling von dem milliardenschweren Betrug wussten, der schließlich im Jahr 2001 zum dramatischen Bankrott des texanischen Unternehmens führte. Enron, einst mit einem Börsenwert von 60 Milliarden Dollar, musste im Dezember 2001 nach schwer wiegenden Bilanzmanipulationen Gläubigerschutz beantragen. Durch dubiose Rechnungslegung waren Millionenschulden in Partnerschaften versteckt worden, von denen einige Angestellte selbst mit Millionengewinnen profitierten. Enron soll unter anderem den Energiemarkt in Kalifornien so manipuliert haben, dass dort im Januar 2001 zeitweise der Strom abgeschaltet werden musste. Investoren verloren mehr als 40 Milliarden Dollar, tausende Angestellte ihren Arbeitsplatz und Pensionsansprüche im Umfang von 800 Millionen Dollar.

Als noch weitere ähnliche Skandale bei US-Unternehmen aufflogen, wurde „Enron“ zum Inbegriff für die schamlose Abzocke und laxe Ethik der Börsenbooms. Es war die bis dahin größte Firmenpleite der US-Geschichte. Nur WorldCom (2002) bescherte den USA eine noch größere.

Skilling ist in insgesamt 31 Punkten angeklagt. Ihm werden unter anderem Verschwörung, Insiderhandel und Falschaussagen gegenüber Wirtschaftsprüfern vorgeworfen. Lay muss sich in sieben Anklagepunkten verteidigen, darunter Betrug und ebenfalls Verschwörung. Lay hatte kurz vor dem Bankrott für wenige Monate den von Skilling bereits geräumten Chefposten übernommen.

Die Sonderermittler des US-Justizministeriums werden den Geschworenen als Erstes eine Reihe von geständigen Enron-Managern präsentieren, die als Kronzeugen gegen ihre früheren Vorstände aussagen wollen. Mit besonderer Spannung wird der ehemalige Chefbuchhalter Richard Causey erwartet. Er hatte vergangenen Dezember gestanden, Aktionäre getäuscht zu haben. Mit seinem Geständnis hatte der Fall für die US-Regierung eine positive Wende genommen.

Die Strategie der Verteidigung werde sein, zu behaupten, dass Skilling und Lay nichts von dem Betrug wussten, prognostiziert der kalifornische Kriminologieprofessor Henry Pontell, Koautor eines Buchs über Wirtschaftskriminalität. Skilling soll laut Medienberichten bislang 40 Millionen Dollar für ein Rechtsanwaltsteam um den Starverteidiger Daniel Petrocelli bezahlen. Petrocelli hatte auch den Footballstars O. J. Simpson vertreten.

Außer Chefbuchhalter Causey haben insgesamt bereits 16 weitere frühere Enron-Manager Straftaten gestanden. Als zweiter Hauptzeuge soll der frühere Finanzvorstand Andrew Fastow aussagen. Er soll nach seinem Geständnis nur 10 Jahre Gefängnis erhalten.

Die ehemaligen Vorstände Lay und Skilling beteuern hingegen weiterhin ihre Unschuld: Lay hatte sich noch im Dezember sogar als Opfer einer „Terrorwelle“ von Ermittlern bezeichnet.

ADRIENNE WOLTERSDORF