„Abbrecher sind nicht weniger qualifiziert“

Auch Geisteswissenschaftler ohne Abschluss haben eine Chance, sagt der Ausbilder der RWTÜV Akademie Essen

taz: Herr Stegemann, warum wirbt die RWTÜV Akademie gezielt Studienabbrecher?

Ludger Stegemann: Studienabbrecher sind ja nicht weniger qualifiziert als andere. Unsere Teilnehmer sind häufig im Studium an einer Prüfung gescheitert. Dafür verfügen sie über Schlüsselqualifikationen, können systematisch organisieren und arbeiten. Außerdem suchen wir nicht gezielt nach Studienabbrechern, sondern bieten Maßnahmen für Absolventen und Studierende an, die mindestens sechs Fachsemester hinter sich haben.

Bewerben sich viele Uniflüchtlinge?

Das kommt auf die Maßnahme an. Im betriebswirtschaftlichen Bereich kommen auf zwanzig Bewerber etwa ein oder zwei Studienabbrecher. Der Andrang ist zuerst immer größer als die Anzahl der Plätze. Das Problem ist, dass viele Interessenten fachlich geeignet sind, aber nicht von der Arbeitsagentur gefördert werden, weil die Kassen leer sind. Zwar können die Teilnehmer die Ausbildung selbst bezahlen, auch in Raten, aber unter 3.000 bis 4.000 Euro geht nichts.

Bemüht sich die Wirtschaft um Studienabbrecher, weil sie für weniger Gehalt als Akademiker arbeiten?

Studienabbrecher können genau soviel verdienen wie die anderen auch. Nur beim Berufseinstieg liegt die Vergütung unter dem adäquaten Gehalt der Absolventen. Aber wenn sie sich bewähren, ist alles offen.

Haben Studienabbrecher bei Ihnen eine Chance, übernommen zu werden?

Ihre Chance ist nicht geringer als bei anderen Teilnehmern. Studienabbrecher müssen nur erst die erlittene Schlappe verkraften und sich klar machen, dass der Abbruch kein Makel ist, wenn sie sich bei der Bewerbung nach außen hin darstellen müssen. Natürlich spielt auch die Länge des Studiums eine Rolle. Wenn jemand nach zehn oder elf Semestern abbricht, sieht das nicht so gut aus wie nach sechs Semestern.

Haben Sie auch Verwendung für Geisteswissenschaftler?

Im Prinzip ja. Voraussetzung ist, dass die Studierenden über den Tellerrand hinausschauen können und für jede Tätigkeiten offen und mobil sind. Wir haben derzeit einen Diplom-Geologen, der in den Vertrieb gehen will. Allerdings liegt die Entscheidung über eine Förderung bei den Kostenträgern. In Münster etwa ist es so, dass nur Geisteswissenschaftler mit Abschluss eine Förderung von der Arbeitsagentur erhalten.

Fragen Sie Bewerber nach den Gründen für den Studienabbruch?

Natürlich führen wir Gespräche, um den Bewerber kennen zu lernen. Und der Studienabbruch steht ja im Lebenslauf. Allerdings ist er nicht der Schwerpunkt des Gesprächs. Außerdem ist es ja meist so, dass der Studienabbrecher durch eine Klausur gefallen ist oder sein Studium ihn nicht begeistert hat.

Was, wenn der Studierende aus psychischen Gründen abgebrochen hat?

Da sieht es schon schwieriger aus. Wir sind für solche Fälle nicht geschult und haben auch keine Zeit, die Betroffenen zu betreuen.

INTERVIEW: GESA SCHÖLGENS