Partikel über dem Norden

Nicht nur das Wetter ist schuld: Reihenweise reißen derzeit Städte die EU-Grenzwerte für die Feinstaub-Belastung. Passiert ist bislang wenig. Die EU-Kommission aber droht mit Klagen

von Kai Schöneberg

Die drei Hochs Claus sowie Drago I und II sorgen derzeit nicht nur für wenig Wind, sondern auch dafür, dass ein hochgefährlicher Schwaden wie Blei zwischen Ost- und Norddeutschland hängt: Die Wolken aus Polen und Tschechien tragen große Mengen Feinstaubs. Immerhin führt die Wetterlage dazu, dass die fast entschlafene Debatte um die krebserregenden Partikel wieder an Fahrt gewinnt.

An den Messstationen in Norddeutschland werden zur Zeit die von der EU erlaubten Grenzwerte gleich reihenweise gerissen. Erlaubt die europäische Feinstaub-Richtlinie insgesamt nur an 35 Tagen im Jahr die Überschreitung des Höchstwerts von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, wurde diese Grenze allein im Januar in Hildesheim bereits 16 Mal überschritten, in Hamburg 14, in Hannover 10 Mal. Allein gestern meldeten 18 von insgesamt 27 Messstationen in Niedersachsen zu hohe Grenzwerte.

Bereits 2005 waren vielerorts Höchstwerte großzügig missachtet worden. Während Städte in Italien mit Fahrverboten reagierten, laboriert die Bundesregierung weiter an der Förderung von Dieselrußfiltern herum. Pläne, Rußsünder mit Plaketten auszustatten, gingen im Bundestagswahlkampf verschütt.

Städte wie Hannover, Hamburg und Bremen experimentierten 2005 damit, Straßen, an denen Mess-Stationen liegen, feucht zu reinigen. Das kurierte aber nur Symptome, an der Belastung ändert sich, wie die derzeitigen Messungen zeigen, wenig. Immerhin rühmte sich Hamburg damit, jetzt mehr Busse mit Rußfiltern auszurüsten, in Bremen denkt sogar die CDU über Tempo-Limits oder City-Maut nach. Die Umweltministerien der Bundesländer debattieren derweil mit den Kommunen über “Luftreinhaltepläne“ mit grünen Wellen und Verkehrsleitplänen. Geändert hat sich bislang jedoch wenig

„Es liegt an der Großwetterlage“, sagt Ansgar Gerlach, Bereichsleiter Umwelt vom Feinstaub-Spitzenreiter Hildesheim, der bereits im vergangenen Jahr auf 38 Grenzwertüberschreitungen kam. Am Wochenende erreichte das Feinstaub-Thermometer in der Hildesheimer Schuhstraße statt erlaubter 50 satte 180 Mikrogramm pro Kubikmeter. „Sogar beim Osterfeuer waren es nur 110 Mikrogramm“, sagt Gerlach und verweist darauf, dass 70 Prozent der Hildesheimer Busse bereits mit Erdgas fahren.

Der EU dürfte das kaum reichen. Bis zum Ende des Jahres prüft die Kommission die Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsländer, dann werde eventuell geklagt, sagt eine Sprecherin von Umweltkommissar Stavros Dimas. Und: Es droht bereits neues Ungemach aus Brüssel. Dimas erarbeitet gerade ganz neue Grenzwerte für ultrakleine Staubpartikel, die sogenannten PM2.5.