KOMMENTAR: KRISTIANA LUDWIG ÜBER DIE SÖLDNER-VORWÜRFE
: Gefährliches Gerücht

Ob sie zur Waffe gegriffen haben, spielt für ihr Recht auf Asyl in Europa keine Rolle

Die Nachrede, die Legende, das Gerücht: Einmal in der Welt, können sie kleben bleiben und – ob wahr oder nicht – Schaden anrichten. An den afrikanischen Flüchtlingen, die seit rund zwei Monaten auf Hamburgs Straßen leben, haftet ein besonders hartnäckiges Stigma: Bezahlt vom früheren Staatschef Muammar al-Gaddafi sollen sie gegen das libysche Volk gekämpft haben. Darüber redeten die Libyer, nachdem Gaddafi gestürzt wurde – und rächten sich. Menschen mit schwarzer Hautfarbe gerieten unter Generalverdacht: Vor dieser Gewalt flohen auch die in Hamburg gestrandeten Afrikaner nach Europa.

Doch nach vielen Wochen im Regen und ein paar Nächten in der Kirchengemeinde St. Pauli holt das Gerücht die Männer wieder ein. Jetzt munkelt die Presse: Gewähren wir Gaddafis Söldnern Obdach? Beweise für ihre Vermutungen haben die Journalisten nicht. Trotzdem werden diese Berichte den Afrikanern gefährlich: Sie machen aus den Flüchtlingen wieder Söldner.

Die rund 300 Männer haben in den vergangenen Tagen viel Unterstützung erfahren. St. Pauli-Fans und Gewerkschafter solidarisieren sich und mittlerweile auch Abgeordnete der regierenden SPD. Um diese Hilfe mussten sie lange kämpfen, vor allem gegen den Senat, der sie nach wie vor zurück nach Italien oder in ihre Herkunftsländer abschieben will. Die Hamburger Innenbehörde könne die Gerüchte nur entkräften, wenn sie die Papiere der Männer überprüfe, heißt es. Für die Flüchtlinge ist das eine Falle: Lassen sie sich registrieren, können sie zwar womöglich beweisen, dass sie bloß Wanderarbeiter waren – doch damit unterstützen sie ihre eigene Abschiebung.

Was also, wenn das Gerücht wahr ist? Es macht keinen Unterschied. Ob die Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern selbst zur Waffe gegriffen haben oder nicht, spielt für ihr Recht auf Asyl in Europa keine Rolle. Wir müssen diejenigen schützen, die von Verfolgung bedroht sind – und sei es aus Rache.

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