„Die Menschen zuerst“

Gleich zwei Veranstaltungen zum chinesischen Neujahrsfest präsentierten das Land als weltoffenen Handelspartner. Ist es das wirklich? Ein Rundgang mit einem chinesischen Oppositionellen

Bremen taz ■ Eine glitzernde Wunderwelt wurde den Studierenden präsentiert. Bunt, großformatig und professionell auf Fotos in Szene gesetzt. „Rediscover China“ hieß eine Ausstellung der Chinesischen Botschaft, die in der vergangenen Woche in der Eingangshalle der Universität zu sehen war. Eine Gruppe chinesischer Studierender hatte sie aus Anlass des chinesischen Neujahrsfestes nach Bremen geholt.

Viele ihrer Kommilitonen wüssten überhaupt nicht, wie es heute in ihrer Heimat aussehe, erklären sie. Wenn man der Ausstellung glaubt, ist diese Heimat voll von Hochgeschwindigkeitszügen und Skylines futuristischer Wolkenkratzer, durchzogen von Naturschönheiten und Kulturschätzen.

Xiao Zhou* sieht China mit anderen Augen. Er gehört der in China verfolgten Glaubensgemeinschaft Falun Dafa an, auch bekannt als Falun Gong, und floh vor vier Jahren nach Deutschland. Seither lebt er hier als Asylbewerber, hofft, nie mehr nach China zurück zu müssen.

Eine Tafel der Ausstellung entlockt ihm Kopfschütteln. „Die Entwicklung Chinas folgt dem Motto die Menschen zuerst“, steht dort. Und: „China respektiert die Freiheit und Kreativität seiner Bürger voll und ganz.“ Was hält er davon? Zhou weicht aus. Er wurde mehrfach verhaftet, hatte aber noch Glück, wie er sagt. Die anderen Mitglieder seiner Falun Gong-Gruppe seien alle im Arbeitslager gelandet, zwei davon seien dort gestorben. Glaubensfreiheit, so viel steht für ihn fest, gebe es dort „auf jeden Fall nicht“.

Auch andernorts feiert man fleißig die Boomregion in Ostasien. Eine auf China spezialisierte Consulting-Firma hat zum Neujahrsfest ins „World Trade Center“ eingeladen, Unternehmer und Politiker sind gekommen. Traditionelle Dekoration und Tänze sollen dem Ganzen offenbar etwas Informelles geben, die Redner kommen aber gleich zur Sache. Eine „hochinteressante Region“ sei China, referiert ein Geschäftsmann, mit Intensität arbeite sein Unternehmen am Markteintritt. Ein China-Experte ergreift das Mikrofon, kritisiert die Herrschaft Mao-Tse Tungs. Zhou nickt beifällig. Auch Mao habe damals viele Menschen aus politischen Gründen töten lassen, flüstert er. Sind das nicht zwei Paar Schuhe? Zhou sieht das anders. Verfolgung bleibe eben Verfolgung.

Schließlich bittet die Moderatorin den Vertreter einer chinesischen Delegation auf die Bühne. Der Mann ist ein hochrangiger Beamter des Verkehrsministeriums in Peking. Er spricht Deutsch, Zhou versteht ihn nicht sofort. „Er ist von der Regierung?“ fragt er leise nach. Die Bestätigung entlockt ihm nur ein „Ah“. Der junge Mann ist so zurückhaltend, das man dies schon fast als scharfe Missfallensbekundung werten muss. Ob er ihm gerne etwas sagten möchte? Zhou zögert. „Wozu?“ fragt er, und hört weiter zu, wie der Beamte in höchsten Tönen Deutschland, Bremen und seine Geschäftspartner mit Komplimenten überschüttet. Nach einer Weile beugt er sich herüber. Was dieser Funktionär denn zu den ganzen Toten sagt, würde ihn vielleicht doch interessieren.

Es ist klar, welche Toten er meint: Von 2.800 Falun Gong-Praktizierenden, die seit dem Verbot der Organisation 1999 in Gefängnissen und Arbeitslagern zu Tode gekommen seien, spricht der Deutsche Falun-Dafa-Verband. Todesursache seien entweder direkte Folter oder die katastrophalen Haftbedingungen. Hinzu kämen unzähligen Inhaftierungen ohne Todesfolge. Ein Sprecher von Amnesty International will die genaue Zahl zwar nicht direkt bestätigen, hält die Vorwürfe aber für „plausibel“.

Als die Veranstaltung vorbei ist, kommt Zhou noch einmal auf das Thema zu sprechen. Der Funktionär hätte wahrscheinlich gesagt, dass er von all dem nichts weiß, ist Zhou sich sicher. „Und das wäre auch nicht gelogen gewesen.“ Die Zensur in China sei umfassend und effizient. Selbst führende Parteikader hätten kaum Zugang zu freien Informationen. Er erwähnt Google, die Internetsuchmaschine, die mit der chinesischen Führung ein Abkommen zur Filterung regimekritischer Informationen abgeschlossen hat. Die Geschäftsleute würden sich noch wundern, sagt er. Unter solchen Bedingungen Geschäfte zu machen, das könne nicht lange gut gehen. Christian Jakob

*Name geändert