BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Paradiesische Zustände für Studenten mit viel Zeit

Natalie Tenbergs Gastro-Kritik: Das Schlimmste im Studienviertel Berlin-Dahlem ist die Zeit zwischen zwei Vorlesungen. Abhilfe schafft das Café Luise

In Berlin-Dahlem sprang Ulrike Meinhof einst aus dem Fenster in den Untergrund. Das ist auch schon wieder ein paar Jahre her. Seitdem ist nicht mehr viel passiert. Der Südwesten Berlins ist eher ein Studien- als ein Studentenviertel. Die Gebäude der Freien Universität stehen abends und am Wochenende öde in den Alleen. Auch die U-Bahnlinie nach Dahlem wurde heruntergestuft. Statt U 1 heißt sie nun U 3 und bringt die Studenten aus Neukölln, Friedrichshain oder dem Wedding ins beschauliche Dorf – und wieder hinaus.

Die ZVS-gestraften Studenten fluchen über ihr Schicksal, in dieser Pampa sitzen zu müssen, raufen sich die Haare und sagen: „Das Schlimmste sind zwei Vorlesungen und Zeit dazwischen. Da unten gibt es ja nichts zu tun!“ Das stimmt. Aber nicht ganz. Zugegeben, das Café und Restaurant Luise lädt nicht zu ausschweifenden Feiern à la Charlotte Simmons in moralisch gebeutelten Phasen ein, aber es ist gemütlich. Die gelben Wände, der dunkle Holzboden und der Pizzaofen – alles strahlt eine in diesen Tagen dringend nötige Wärme aus. Am Wochenende sind die meisten Gäste Teil junger Familien, die in der Nähe wohnen oder einen Spaziergang durch den nahe gelegenen Wald unternommen haben. Bei allem Dünkel gegenüber dem bürgerlichen Establishment lässt sich doch für junge Akademiker gut studieren, wie die Hälfte der Freunde später werden – oder man selbst vielleicht auch.

Diese bürgerliche Fassade zeigt beim Service erste Risse. In der Zeit, in der ein Gast wartet, eine Bestellung abgeben zu dürfen, ist es bei zügiger Fahrt möglich, die Strecke Luise–Grillimbiss in Neukölln zurückzulegen. Etwa eine halbe Stunde. Wer so lange hungrig warten muss, entwickelt mitunter Aggressionen gegen seine Umwelt.

Sehr wahrscheinlich sind deswegen die Messer in diesem Lokal so stumpf, dass die bestellte Kohlroulade, ein Tagesgericht für acht Euro, mehr auseinander gepresst als geschnitten werden muss. Dann aber schmeckt sie gut, der Kohl ist zart, das Fleisch durch, aber noch stets zart rosa. Vor allem ist sie so groß, dass sie getrost geteilt werden kann, was dem studentischen Budget wieder entgegenkommt. Dazu gibt es Rotkohl und Kartoffeln.

Nach solch einer deftigen Mahlzeit mag man freilich keiner Bedienung mehr böse sein, vielmehr freut man sich, dass sie einem ermöglicht, für wenig Geld sehr, sehr lange an einem Tisch sitzen zu dürfen, denn auch die Rechnung kommt nicht ohne gehörige Wartezeit. Für Studenten, die viel Zeit haben, sind es paradiesische Zustände. Und wer weiß, vielleicht passiert ja in Dahlem auch mal wieder irgendwann etwas Aufregendes.

Café Restaurant Luise, Königin-Luise-Str. 40–42, 14195 Berlin, Tel. (0 30) 8 41 88 80, U-Dahlem-Dorf, www.luise-dahlem.de, WLAN: 9,90 Euro/3 h, Getränke ab 1,50 Euro, Café au Lait 3 Euro, Bafög-Frühstück 3,80 Euro, Donnerstags 20 Prozent Studentenrabatt