Was tun, wenn der Aldi geht?

MORITZPLATZ Eine Dialogwerkstatt über die viel gelobten Veränderungen des Moritzplatzes wird zur Gentrifizierungsdebatte

Der Prinzessinnengarten in stimmungsvollem Licht, eine Menschenmenge im Modulor-Laden, ein überklebtes U-Bahnschild, das darauf hinweist, dass jetzt hier der „Makerplatz“ ist: Es sind Bilder des Erfolgs, die sich an der Wand eines kleinen Besprechungsraums im Aufbauhaus abwechseln. Verantwortlich für die Diashow ist die Belius Stiftung des Modulor-Machers und Moritzplatzentwicklers Andreas Krüger, die zum Dialog eingeladen hat. „Dein Moritzplatz – Zur Rückeroberung eines städtischen Ortes durch starke Nachbarn“ heißt die Veranstaltung, zu der etwa 20 Leute gekommen sind. Zusammen will man eine Bilanz der Veränderungen am Platz ziehen.

Das Publikum ist bunt gemischt: Gewerbetreibende und Anwohner sind gekommen, eine alte Dame, die am Moritzplatz aufgewachsen ist, alte und neue Kreuzberger. Auch ein Beamter der Landeskriminalamts „Abteilung städtebauliche Kriminalprävention“ ist da, dazu die SPD-Politikerin Idil Aydin und der Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne).

Am Anfang, als alle ihre erste Begegnung mit dem Moritzplatz schildern, ist die Stimmung gelöst. Je nach Alter und Berlinerfahrung werden Erinnerungen wach an wilde Feiern im Kristallpalast vom Aschinger (in den 1930ern), an Eckkneipen voller traumatisierter Kriegsheimkehrer (in den 50ern) und an Freunde, die von ihrem Balkon direkt auf die Mauer guckten (in den 80ern). Franz Schulz berichtet von gescheiterten Versuchen, den vernachlässigten Platz zwischen Kreuzberg und Mitte wiederzubeleben. Und von seinem zähen Widerstand gegen alle Supermarkt-Planungen. „Ich wusste immer, dass der Platz besseres verdient hat“, sagt er zufrieden.

Dass es dort, wo Anfang der Nullerjahre noch das leer stehende Bechsteinhaus vor sich hindämmerte und Brachen voller Müll zum zügigen Vorbeigehen anhielten, brummt vor lauter Kreativität, hat den Platz gerettet. So die einhellige Meinung. Der Bau des Aufbauhauses mit Verlag, Theater und Buchhandlung gab den Startschuss, es folgten die Prinzessinnengärten. Seitdem ist rund um den Platz ein Netzwerk an Kreativwirtschaft entstanden, vom Ökodesignladen „Schöner wär’s wenns schöner wär“ bis zum Betahaus an der Prinzessinnenstraße und dem „Aqua Butzke-Carrée“ an der Ritterstraße.

Krüger nannte das Vorgehen am Platz beispielhaft für anwohnerorientierte Stadtentwicklung. Die Anwohner akzeptierten die neuen Nachbarn, in zwei Jahren habe es keine einzige eingeworfene Scheibe gegeben. Die Entwicklung geht weiter: Das Aufbauhaus wird seitlich erweitert, nebenan zieht eine Musikalienhandlung ein. Der Aldi-Markt, einer der ältesten in Kreuzberg, muss dafür weichen.

Nachbarn verlieren

Bei dieser Nachricht kippt die Stimmung. Wenn Aldi geht, hat die Bevölkerung der umliegenden Mietshäuser keinen billigen Versorgungspunkt mehr. „Ein Rückzugsort für sozial Schwache geht verloren“, mahnt Bürgermeister Schulz und weist auf die wegfallende Mietpreisbindung für die Sozialwohnungen in der südlichen Friedrichstadt hin. Die SPD-Frau befürchtet gar einen „Aufstand“ der Sozialmieter, wenn zur Mietenexplosion nun auch noch Aldi schließe. Andreas Krüger, der die Aufwertung des Platzes stets mit besten Absichten betrieben hat, guckt erschrocken. Was tun? Eine Mieterberatung eröffnen? Das Flüchtlingsheim gegenüber bei der Entwicklung der letzten, noch brachliegenden Platzecke einbinden?

Niemand im Raum will Gentrifizierer sein, niemand schuld daran, dass im Hochhaus an der Prinzessinnenstraße bereits reihenweise Familien ausziehen. Die Politiker in der Runde machen sich gegenseitig Vorwürfe. Wie man einen Platz schöner macht, ohne dabei die Nachbarn zu verlieren – dafür findet man auch am Moritzplatz keine Lösung. NINA APIN