Bischof wählen?

Baden-Württemberg: Die CDU sagt den Häuserkampf in den Metropolen um die grün fühlende Mittelschicht ab

Nehmen wir mal an, es gibt tatsächlich Menschen in Baden-Württemberg, die in diesen Tagen ernsthaft überlegen, ob sie bei der Landtagswahl Ende März CDU oder Grüne wählen sollen. Was ist die Erkenntnis, die für sie aus dem Rücktritt des Sozialministers Andreas Renner (CDU) folgt? Gut so? Sicher nicht. Renner (46) war für den potenziellen Wechselwähler zwischen Grün und Schwarz nie ein Problem.

Im Gegenteil. Er war Symbol und Gradmesser für den Willen des Ministerpräsidenten Günther Oettinger, die gesellschaftliche Realität in den Großstädten anzuerkennen und die Landespolitik entsprechend anzupassen. Das alles ist in der Realität, von der Ganztagsschule bis zum Grußwort für eine schwul-lesbische Veranstaltung, für normale Menschen keine Revolution, offenbar aber für jenen Teil der Landes-CDU, der die Interessen und geistigen Aggregatzustände der Landbevölkerung vertritt beziehungsweise das zu tun vorgibt.

Mein Gott: Dass Renner einem Vertreter einer Glaubensgemeinschaft mit seltsamen anachronistischen Riten in klaren Worten sagt, was er von diesen Riten hält und dass er sich gefälligst aus Angelegenheiten des Staates herauszuhalten habe („Halten Sie sich da raus. Fangen Sie doch erst einmal damit an, Kinder zu zeugen“) – taktlos und inakzeptabel genug, dass er von einem vorlauten Bischof in die Situation gebracht wird, ihn zurechtweisen zu müssen. Welcher aufgeklärte Mensch würde Renner inhaltlich nicht zustimmen?

Was nehmen wir mit aus der Sache? Oettingers Strategie ist zurückgeworfen, einerseits mit Atomlaufzeit-Verlängerungsrufen etc. die klassische Kundschaft ruhig zu halten, andererseits mit der Realität sich annähernder Bildungspolitik, knallig-raffinierten Politwerbespots wie der Idee eines späteren Schulbeginns und eben den nach vorn geschobenen „modernen“ Sozialminister die alten Lagermodelle als überholt darzustellen. Grade erst war mancher mit der Diskussion um den Muslim-Test ins Nachdenken gekommen. Dessen interessante Komponente sind ja die inhaltlichen Positionen, die Baden-Württemberg (also die CDU) zum Beispiel bei der Stellung von Frauen und Homosexuellen neuerdings einzunehmen gewillt ist.

Was der Gegenschlag der Reaktion über Oettingers parteiinterne Probleme sagt, soll uns hier nicht interessieren. Der Häuserkampf in den Metropolen um die aufgeklärte, grün fühlende Mittelschicht ist damit jedenfalls abgesagt. Eine Partei, in der der Bischof von Rottenburg Personalentscheidungen trifft – das ist auch im postideologischen Milieu ganz und gar unakzeptabel. Die SPD? Sie hat noch schneller als der Bischof und die Bauern von der Schwäbischen Alb Renners Rücktritt gefordert – mehr ist bis auf Weiteres dazu nicht mehr zu sagen. Was bleibt? Die CDU führt Wahlkampf gegen sich selbst. Ob das der Hybris nicht vielleicht doch ein bisserl zu viel ist? PETER UNFRIED