FORMELLE FRIEDENSAPPELLE DER UN
: Kein Urlaub für US-Truppen

Über olympische Rituale

MARKUS VÖLKER

Bei den alten Griechen hieß es Ekecheiria, friedliches Händehalten. Oder auch: der olympische Friede. Man beendete die Scharmützel, legte die Waffen für eine Zeit beiseite, zog sich nackt aus und rannte ein paarmal um die Bahn. So konnte man sich, wie nachzulesen ist, dank der Könige Iphitos von Elis, Kleosthenes von Pisa und Lykurgos von Sparta unblutig messen. Das war eine feine Sache. Das friedliche Händehalten ist aber mit den Jahrhunderten zu einem fröhlichen Händeaufhalten verkommen. Und auch der Waffenstillstand ist nicht mehr das, was er einmal war. Die Truppen des Gastgebers nehmen gerade an einer größeren Offensive in Afghanistan teil, vor allem die Fertigkeiten der kanadischen Hubschrauberpiloten sind wohl sehr gefragt. Seit 2002 sind die Kanadier am Hindukusch stationiert.

Fast gleichzeitig mit der Entzündung der olympischen Flamme traf in Vancouver die Nachricht vom 140. kanadischen Toten dieses Krieges ein. Joshua Caleb Baker ließ sein Leben, vier seiner Kameraden wurden verletzt. Kein Staatenlenker käme heutzutage auch nur auf den Gedanken, die kriegerischen Auseinandersetzungen zu unterbrechen für die 17 Tage der Winterspiele. Die Herren der Ringe können vieles, Steuern abschaffen und Bürgerrechte unterminieren, aber Kriege beenden, das können sie nicht. Doch fordert genau dies die Vollversammlung der Vereinten Nationen, in einem rein formellen Appell zwar, aber sie tut es. Auf der 64. Sitzung der UN wurde am 15. Oktober des Vorjahres unter Tagesordnungspunkt 45 zum Waffenstillstand während der Olympischen Spiele aufgerufen. Deutschland befindet sich unter den Unterzeichnern. Man wolle eine bessere Welt durch den Sport und die olympischen Ideale schaffen, heißt es. Das klingt großartig. Das Internationale Olympische Komitee hat jetzt sogar Beobachterstatus in der Vollversammlung.

Um genau zu sein: Die Friedensaktivisten von der UN haben nur eine olle Ekecheiria-Kamelle von 1993 wieder aufgelesen, die Resolution 48/11. Das ist so üblich und erleichtert den Papierkram. In der Neuauflage wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gebeten, die Überwachung des Waffenstillstands bei den Olympiateilnehmerländern zu überwachen. Aber da hat der Herr aus Südkorea wohl keinen guten Job gemacht, denn es wird allerorten geballert und gestorben. Ist auch eine komische Vorstellung, wenn so ein UN-Emissär daherkommt, am Weißen Haus klopft und inständigst darum bittet, die US-Truppen mal zwei Wochen zu beurlauben, weil in den Wäldern von Whistler ein paar Kleinkaliberschützen über die Loipen hirschen.

Die kanadische Armee hat nur während des Koreakrieges mehr Opfer zu beklagen gehabt als jetzt im sogenannten Krieg gegen den Terror. Ban Ki Moon hat kürzlich zugegeben, dass es ein bisschen komisch ist, wenn die UN etwas beschließt und keine Sau sich dafür interessiert – außer einem gewissen Willi Lemke, der früher eine große Nummer bei Werder Bremen war und heute für den Staatenbund den stellvertretenden Waffenstillstandswächter gibt. „Es ist ein schreckliches Paradox“, hat Ban Ki Moon gesagt, „während Olympia preisen wir die positiven Werte der Spiele, aber durch kriegerische Gemetzel lassen wir es zu, dass Menschen getötet werden und diese Werte Schaden nehmen.“ Ja, das ist eine schlimme Sache. IOC-Chef Jacques Rogge sollte sich dringend darum kümmern. Wäre doch schlimm, wenn die Spiele Glaubwürdigkeit verlieren und Wahrhaftigkeit einbüßen würden.