LESERINNENBRIEFE
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Es geht um Grundsicherung

■ betr.: „Sollen die Hartz-IV-Regelsätze steigen?“, Contra von Anna Lehmann, taz vom 13. 2. 10

Bildungsnähe kann man nicht oktroyieren, Geigenunterricht nicht anbieten wie Sauerbier, Museums- und Theaterbesuche nicht unter die sogenannten Bildungsfernen qua „Flatrate“ bringen. Es geht auch nicht um die Debatte, was 10 Prozent der Bevölkerung mit ihrem Zuviel an Geld machen. Nein, ganz konkret geht es um die Grundsicherung und welcher Rede ich hier zustimme. Jede und jeder muss mit seinem Hartz-IV-Geld machen können, was sie/er will und braucht. Und dieses Geld ist entschieden zu wenig. Da macht es sich Frau Lehmann verdammt leicht. Was nützen mir kostenlose Eintritte, wenn nicht das richtige Essen auf den Tisch kommt, wenn ich nicht mithalten kann mit dem größten Teil der Bevölkerung, wenn ich mich beschissen und unwert fühle, wenn ich z. B. als alleinerziehende Mutter 20 Jahre meine Kinder großgezogen habe und jetzt von der Gesellschaft mit Hartz IV quasi in den Arsch getreten werde, weil ich keinen Job mehr bekomme? RAINER KAPPAUF, Wiesbaden

Sichtung und Neubewertung

■ betr.: „Sollen die Hartz-IV-Regelsätze steigen?“, Contra von Anna Lehmann, taz vom 13. 2. 10

Liebe Bildungsredakteurin, es geht bei den jetzt zur Disposition stehenden Hartz-IV-Regelsätzen eben gerade nicht um griffige Schlichtfragen wie Gallianokleidchen oder KIK-Klamotten, Ballet oder Basketball, sondern um die Sichtung und Neubewertung von ziemlich elementaren Eckpfeilern eines jeden Gemeinwesens: Solidargemeinschaft oder Klientelwirtschaft? Es gibt durchaus gute Gründe, die Hartz-IV-Regelsätze nicht zu erhöhen. Die Ihren, liebe Bildungsredakteurin, zählen aber sicher nicht dazu. Im Gegenteil, ich empfinde es als gedankenlos und fahrlässig, zu erzählen, irgendwelche Preissenkungen (wer sollte die wohl durchsetzen?) könnten die existentielle Not vieler Halbwüchsiger lindern. GABILOTTE LANZRATH

Kinderarmut im reichen Land

■ betr.: „500 Euro fürs Kind“, taz vom 15. 2. 10

Die Idee ist so genial wie einleuchtend: Wir starten die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) mit einem ersten Schritt, und zwar für den jüngsten Teil unserer Gesellschaft, bis zu einem Alter von 27 Jahren. Das allein würde das Armutsproblem deutlich entschärfen und zudem ein erstes Paket Bürokratie überflüssig machen. Und wir könnten erste Erfahrungen sammeln mit dem viel diskutierten BGE. Dass zur Finanzierung die durch Zins und Zinseszins gewachsenen Vermögen herangezogen werden, ist eine völlig berechtigte Forderung. Deutschland ist ein reiches Land, man kann es nicht oft genug wiederholen. Dennoch haben wir es mehr und mehr mit Kinderarmut zu tun. Über die Ursachen wurde schon viel geschrieben, auch in der taz. Reichtum erzeugt Armut, wachsender Reichtum wachsende Armut. Aber über das leistungslose Einkommen aus Kapitalbesitz regt sich immer noch keiner so richtig auf, dafür aber über leistungsloses Einkommen für Arbeitslose. Diese lautlose Umverteilung von unten nach oben haben politisch Verantwortliche in den letzten Jahrzehnten nicht gestoppt, im Gegenteil.

DIETER STOMPE, Erfurt

Maulende Elterninitiative

■ betr.: „Schulkampf bis zur Urne“, taz vom 11. 2. 10

So, so, „wir wollen lernen“, mault die standesbewusste Hamburger Elterninitiative. Erstens ist diese Forderung aus Teenie-Sicht eine coole Unterstellung der pädagogisierenden Alten. Da könnte sich ebenso gut jeder Porschefahrer ein „Tempo 100 – Der Umwelt zuliebe“-Bepperl an die Heckscheibe kleben, das läge von der Glaubwürdigkeit her dicht dran. Und zweitens wären die von links betroffenen und von rechts interessengesteuerten, daher blähenden Begabungs- und Diskriminierungsdebatten im deutschen Schulsystem ergiebiger, wenn Klassengrößen konsequent, nachprüfbar und schulformübergreifend 20 Schülerinnen und Schüler nicht überschritten. Greifbares Ergebnis: Mehr Zeit und Aufmerksamkeit für Mahmoud, Annalena und sogar Kevin. Wer das bezahlen soll? Da lagern doch noch irgendwo die 30 Milliarden der Steuerhinterzieher. Sogar für Hartz IV bliebe noch Nachschlag. Klingt ökonomisch wenig sexy. Aber politisch und pädagogisch doch ganz seriös. Wir wollten doch lernen, gell? CHRISTIAN KÖNIG, Bingen am Rhein

„Wir wollen selektieren“

■ betr.: „Schulkampf bis zur Urne“, taz vom 11. 2. 10

„Wir wollen lernen“, so nennt sich die Initiative, die gemeinsames Lernen aller Kinder wenigstens bis zur sechsten Klasse nicht haben will. Sie blockiert die Reform entschieden. Dass gemeinsames Lernen bis zur sechsten Klasse, ja sogar darüber hinaus, mit besten Lernerfolgen aller Kinder funktionieren kann, belegen nicht nur internationale Studien der OECD, Pisa und andere. Es gibt keinen Grund anzunehmen, längeres gemeinsames Lernen würde irgendeinem Kind schaden. Das Gegenteil ist eher wahrscheinlich: Alle Kinder profitieren, da heißt sie lernen besser, mehr, leichter. Was also wollen sie wirklich? Dass ihre Kinder nicht gemeinsam mit Kindern lernen, die etwas weniger wort- und zahlengewandt sind? Dass die Kinder der anderen nicht lernen?

Ehrlicher wäre da schon der Name „Wir wollen selektieren“.

MAGDALENA FEDERLIN, Aichach