„ITX muss raus aus dem Fruchtsaft“

Die Deutsche Umwelthilfe weist die Druckchemikalie ITX jetzt auch in Tomaten- und Multivitaminsäften nach. Wer den Stoff für unbedenklich hält, „bagatellisiert“, sagt der Toxikologe Hermann Kruse. Denn die Substanz könne die Fortpflanzung stören

INTERVIEW VONHANNA GERSMANN

taz: Wie giftig ist Saft, in denen die Chemikalie ITX steckt?

Hermann Kruse: Die hoch belasteten Säfte sollte man nicht mehr trinken. Man stirbt zwar nicht davon. Aber niemand weiß, wie der Cocktail genau wirkt. Anders als Blei, Cadmium oder Quecksilber, also den bekanntermaßen giftigen Stoffen, gibt es über ITX kaum Daten.

Was wissen Toxikologen denn überhaupt über ITX?

Aus Versuchen mit Tieren gibt es Hinweise, dass ITX das Erbgut verändert. Männer und Frauen könnten also ein Fortpflanzungsproblem bekommen und die Nachkommen krank werden. Allerdings wurden bei den Tierexperimenten immer tausendmal höhere ITX-Dosen verabreicht, als jemand mit dem Saft zu sich nehmen kann. Die Tests zeigen jedoch eins: Wer ITX für unbedenklich hält, bagatellisiert.

Die EU-Lebensmittelbehörde hat den Stoff für Verpackungen erlaubt. Die WHO listet ihn auch nicht als gesundheitsgefährdende Substanz. Ist da schlampig gearbeitet worden?

Das möchte ich niemandem unterstellen. Doch die mir zugänglichen Daten rechtfertigen die laxen Beurteilungen nicht. Wir wissen noch gar nicht, ob ITX Nerven schädigt, das Immunsystem schwächt oder den Hormonhaushalt beeinflusst.

Hat Bundesverbraucherminister Horst Seehofer fahrlässig Entwarnung gegeben?

Er ist vorschnell. Denn in der Welt der Toxikologen ist ein Fünftel eines Zuckerkrümels eine große Menge. Genau so viel, nämlich mehr als 200 Mikrogramm ITX, wurde nun aber in einem Liter Getränk festgestellt. Das ist bedenklich. Der Stoff muss sofort raus aus dem Saft. Österreich hat schon längst einen Vorsorgewert. Auch die Bundesregierung sollte schleunigst einen Grenzwert benennen. Um sicherzugehen, sollten nicht mehr als 10 Mikrogramm ITX pro Liter zugelassen werden.

Wo versteckt sich ITX noch?

Die Substanz sorgt dafür, dass Farben schnell trocknen. Auf wie vielen Verpackungen sie klebt, ist unklar. Offenbar löst sich ITX aber vor allem in fettreichen Lebensmitteln, zum Beispiel in Milch. Zumindest die Zeitung können alle in Ruhe lesen, der Druck ist ITX-frei.

Auf wie viel Chemie müssen wir uns in „reinem Saft“ noch gefasst machen?

Das ist eine Frage der Analytik. Wer sucht, der findet. Jedoch werden selten so große Mengen gefunden wie im ITX-Fall.