Ein saudi-arabischer Trickster

KUNST Abdulnasser Gharem ist eine Leitfigur der noch jungen Kunstszene seines Landes. Es geht ihm um Hingabe – in der Side by Side Gallery stellt er dafür sein neues Projekt vor

■ geboren 1973 in Chamis Muschait im Südwesten Saudi-Arabiens. Auf seiner Netzpräsenz abdulnassergharem.com ist zu lesen, wie sich der Künstler selbst zur Kunst verhält: „I have no studio so my studio is where I can find people. When I see the opportunity I go. That is my way of thinking about art.“

■ In Berlin ist Abdulnasser Gharems Kunst derzeit in der Side by Side Gallery zu sehen. Die Ausstellung „Towards the Amen Art Foundation“ läuft bis 13. Juli, Potsdamer Straße 81b, Di.–Sa. 11–18 Uhr.

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Landschaft entlang der Straße, die von der Stadt Chamis Muschait im Südwesten Saudi-Arabiens in den Jemen führt, ist trocken und bergig. Bei heftigem Regen drohen Springfluten in dem von Trockentälern durchzogenen Gebiet. Es war Anfang 2000, als sich deshalb eine Dorfgemeinschaft mit ihren Habseligkeiten vor einem Regen auf die nahe ihrem Dorf gelegene Stahlbetonbrücke einer nagelneuen Straße rettete. Doch die Brücke war schlecht gebaut. Sie stürzte ein und begrub die Dorfbewohner unter sich. Niemand überlebte. Nirgendwo wurde über das Unglück berichtet.

2003 belud Abdulnasser Gharem, ein in Chamis Muschait stationierter Leutnant der saudi-arabischen Armee, sein Auto mit weißer Sprühfarbe, mit Essen, Kaffee und Tee. Er packte seine Brüder und Freunde in den Wagen und fuhr mit ihnen zu den Überresten der Brücke. Gemeinsam begannen sie das immer gleiche Wort auf die Straße zu sprühen: „Siraat“, was so viel heißt wie „der Weg“. Der Begriff bezieht sich einerseits auf Lebensentscheidungen, andererseits ist im Koran damit der Tag des letzten Gerichts gemeint und die Brücke, die über die Höllenfeuer ins Paradies führt. Vier Tage und drei Nächte lang brauchte die 24-köpfige Gruppe um Gharem, bis die Brücke restlos beschrieben war. Dann bat Gharem einen Ziegenhirten, den er in der Nähe entdeckt hatte, seine Tiere bei Dunkelheit über die Brücke zu führen. Die Nachtsichtausrüstung der Kamera tauchte den Vorgang in das bekannte Golfkrieg-Grün.

Militärdienst als Nische

Weil diese Aktion nach westlichem Verständnis eine künstlerische Intervention oder Performance darstellt, könnte man meinen, Abdulnasser Gharem sei ein saudi-arabischer Ai Weiwei. Das trifft so aber nicht zu.

Der Leutnant der saudi-arabischen Armee sah in der Unternehmung einfach eine Möglichkeit, das Unglück und damit auch einen Teil der ungeschriebenen Geschichte Saudi-Arabiens festzuhalten. Er hatte zwar schon früh begonnen zu zeichnen und sich später für ein Kunststudium an der Universität seiner Heimatstadt beworben. Doch als er nicht angenommen wurde, entschied er sich für den Militärdienst. Wundersamerweise fand er damit seine Nische. Er entwickelte sich zu einem fanatischen Leser und mietete sich im nahe Chamis Muschait gelegenen Al Miftaha Art Village ein Studio.

Hier begann er mit seinen Ideen zur Kunst zu experimentieren. Er malte nicht länger Landschaften, stattdessen ließ er sich von Freunden mit Plastikfolie in einen Baum einwickeln, zum Atmen nutzte er den von der Pflanze produzierten Sauerstoff. Er war kein Freund dieses speziellen Baumes. Im Gegenteil. Conocarpus Erectus, die Knopfmangrove, stammt aus Australien und wurde im Rahmen eines Verschönerungsprogramms nach Saudi-Arabien gebracht. Nicht bedacht hatte man dabei, dass der Baum mit seinen horizontal wachsenden Wurzeln allen anderen Bäumen und Sträuchern das Wasser abgrub, woraufhin die eingingen. Die Leute in Chamis Muschait waren baff. Nie zuvor hatten sie so etwas wie Gharems Aktion gesehen.

Im arabischen Verständnis konnten sie ihn als einen etwas verrückten „rawi“ betrachten, einen Geschichtenerzähler.

Henry Hemming, der britische Journalist, der die erste Monografie zu Abdulnasser Gharem verfasst hat, nennt ihn den archetypischen Trickster. Der Trickster, so besagt seine Definition, ist eine Figur der Mythologie, die mit ihren Schwindeleien und Tricks die Ordnung durcheinanderbringt. Allerdings hat sie dafür meist gute Gründe und fungiert daher oft als ein Heros: jemand, der eine große Tat mit fundamentalen gesellschaftlichen Auswirkungen vollbringt.

International anerkannt

Bestimmt ein Trickster in diesem Sinn, hat sich Abdulnasser Gharem seit den Tagen von der „Siraat“-Sprühaktion zu einem wichtigen saudi-arabischen Künstler entwickelt, zu einer Leitfigur der dort entstehenden Kunstszene, die längst auch internationale Anerkennung erfährt. 2010 stellte er „Siraat“ mit der von ihm mitgegründeten Künstlerinitiative Edge of Arabia in Berlin aus. 2011 war in der ifa-Galerie in der Ausstellung „Political Pattern – Ornament im Wandel“ sein aus Buchstabenstempeln zusammengesetztes Gemälde „Men at Work“ zu sehen.

Jetzt ist der Künstler wieder in Berlin. In Akim Monets Side by Side Gallery stellt er sein neuestes Projekt vor: „Towards the Amen Foundation“. Weil für ihn ein wirklicher Künstler nur derjenige ist, wie er sagt, „der die Dinge ändert, und nicht nur sagt, dass sie geändert werden sollten“, geht es dabei um die Gründung einer Kunststiftung, die von den beteiligten Künstlern in Eigenregie geführt wird.

Ausgerechnet in Riad, der extrem konservativen Hauptstadt Saudi-Arabiens, soll sie angesiedelt werden. Auf die Idee, so erklärt Gharem während seines Aufenthalts in Berlin am Gallery Weekend, habe ihn die junge Künstlergeneration seines Landes gebracht, bildende Künstler, Filmemacher und Musiker oder auch das in Riad beheimatete Internet-Fernsehen Telfaz11.

Die Side by Side Gallery fungiert deshalb nicht nur als Ausstellungsraum für einige ikonischen Arbeiten Gharems, sondern sie will dazu Treffpunkt für alle sein, die sich für die Stiftung interessieren und einen Beitrag leisten wollen. Deshalb hängen im Gang der Galerie Blöcke an der Wand und es gibt Bleistifte: Interessierte können so ihre Adresse und ihre Vorschläge hinterlassen. Den Vorschlag, die taz zu besuchen, um sich über unser Genossenschaftsmodell und die Panter-Stiftung zu informieren, nahm der Künstler gerne an. Jede Information ist wertvoll. Nicht nur für ihn selbst, sondern für die saudische Gesellschaft generell. „Ihr fehlen alle Möglichkeiten, sich kundig zu machen, was in der Welt vorgeht“, sagt Gharem. „Niemand unterrichtet die Leute und klärt sie auf.“

Da möchte er, der Trickster, einspringen und helfen. Dafür fertigt er monumentale Holzstempel-Skulpturen an, wie sie nun in der Side by Side Gallery zu sehen sind. Auf ihrem roten Gummikissen steht in lateinischer und arabischer Schrift zu lesen: „Have a bit of commitment. Amen.“ Abgesehen davon, dass man diesen Stempel mit der Hingabe in allen Ämtern dieser Welt sehen möchte, bestätigt er ganz konkret das Anliegen der Amen-Stiftung, in der etwa Kinder lesen und zeichnen, aber auch Musik machen und Theater spielen sollen, während es für die Jugendlichen und Erwachsenen Vorträge und Fortbildungsmöglichkeiten geben wird. „Bei uns entstehen riesige Gebäude und Städte, ständig sieht man diese 3-D-Präsentationen davon. Aber ich glaube nicht, dass diese Pläne erfolgreich sein können, wenn nicht auch die Menschen und die Administration weiter entwickelt werden. Hier möchte ich helfen. Das ist meine Mission.“