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: HELMUT HÖGE über Entlassungsproduktivität

„Auch China wird auseinander fliegen!“ (R. Kurz)

Auf gleich drei Veranstaltungen ging es kürzlich um die „abstrakte Arbeit“ (Warenproduktion), die „überflüssige Jugend“ und das „automatische Subjekt“ (Kapital). Im Mehringhof hatte das Partisannet-Info „Trend“ eine Debatte über „Kommunismus. Was sonst?“ angezettelt, unter anderem mit einigen linken Aktivisten der Bochumer Gruppe „Gegenwehr ohne Grenzen“. Sie hatten im Oktober 2004 den Streik beim Autohersteller Opel mitorganisiert. Die Debatten kreisten um das Proletariat.

Im Gegensatz dazu stand dann eine Veranstaltung der Berliner „Freunde der klassenlosen Gesellschaft“, die mit zwei Genossen aus der französischen Gruppe „Sturmvogel“ über die jüngsten „Unruhen in den Banlieues“ diskutierten. Auf beiden Veranstaltungen war die Scene nahezu identisch: Im Publikum befanden sich leninistische, trotzkistische und anarchistische Rumpforganisationen sowie etliche marxistisch gebildete Arbeitslose.

Dem Partisannet schwebte vor zehn Jahren das vermeintlich partizipative Internet als neues Organisationsmodell vor. Damit sei man aber gescheitert, wie der „Trend“-Sätzer Karl-Heinz Schubert eingestand. Schließlich werde damit quasi das Pferd von hinten aufgezäumt: Also erst „was tun!“ und dann darüber berichten und sich mit ähnlichen Tätern austauschen. Selbst die hochorganisierteste Virtualität kann nicht die primitivste „direkte Aktion“ und die „physische Vollversammlung“ ersetzen.

Viele linke Gruppen sind deswegen zum Zeitungsmachen zurückgekehrt. Einer der Opel-Aktivisten meinte: Die Linke sollte endlich wieder anfangen, Flugblätter vor den Betrieben zu verteilen. Aber das war ja genau das Problem: In letzter Zeit finden fast nur noch regressive und betriebsisolierte Verteidigungskämpfe von Restbelegschaften statt (bei Samsung, AEG etc.).

Anders verhält es sich mit der Revolte der Jugendlichen in den französischen Banlieues. Sie sind sechsfach „abgetrennt“: von der Innenstadt, von den Mädchen, vom christlich-kommunistischen Umfeld, von den weißen Franzosen, von den Arbeitsplatzbesitzern und von der Citoyensozialisation. Als unruhige „Überflüssige“ bilden sie dafür aber laut Edward Said die Avantgarde der Unzufriedenen – in ihrem „Verlangen nach Leben und Sinn“. Wobei sie statt zu lesen und zu schreiben lieber Musik hören oder machen. Der „Rassenblick“ von außen verdecke nur allzu oft diesen „sozialen Hintergrund ihrer Revolte“. Es wurden dabei 3.000 Jugendliche verhaftet, 800 sind bereits verurteilt worden.

Auf der dritten Veranstaltung stellte Robert Kurz sein neues Buch „Weltkapital“ vor: Die Dritte Industrielle Revolution bewirke nicht nur Massenentlassungen ohne Ende, sondern zwinge die Betriebswirtschaften auch, sich transnational durch Rationalisierungsinvestitionen zu zerlegen, schreibt Kurz da. Das stürze selbst einst strotzende Volkswirtschaften und Territorialstaaten in die Agonie. Zugleich koppele sich das Finanzkapital von der Produktion ab und blase sich mittels eigener „Produkte“ auf. In dieser Situation werde die Restlinke reaktionär und wage nicht mehr, an eine Überwindung der „abstrakten (mehrwertschaffenden) Arbeit“ zu denken. Sie sei selbst von der Zerbröselung der Mittelschicht betroffen und hoffe bloß noch, dass der Kelch an ihr (und einige Kernbelegschaften) vorbeigehe. „Man kann das Kapital nur ganz oder gar nicht kritisieren.“ Und einen „Weltstaat kann es nicht geben“.

Wieder „Politik wagen“ – das sei Pfeifen im Wald: „Der Staat kann nichts mehr regulieren“, er wird zu einer parasitären Einrichtung, die nur noch das Volksvermögen verscherbelt: „Bei einer Konkurrenz zwischen Infrastrukturen hören sie aber auf, Infrastruktur zu sein.“ In dieser globalen Strukturkrise ist das „automatische Subjekt“ – das Produktionskapital selbst – zu seinem letzten Gefecht unterwegs in die Sonderwirtschaftszonen – oder flüchtet sich gleich (wie wir) in schäbige „zirkulative Differenzgewinne“.

Was tun? Das Publikum war ob dieser komplexen Kohärenz leicht geplättet. Robert Kurz fiel dazu am Schluss nur ein: „Die eigenen Lebensinteressen geltend zu machen – das erfordere eben eine Kritik der abstrakten Arbeit.“ Aber das war viel zu kurz gedacht.