Wenn es zweimal klingelt

Die Gasnetze werden geöffnet. Auch das noch! Wer hat schon Zeit und Lust, sich stundenlang über günstige Tarife zu informieren, wer den Nerv, je nach Kostenlage den Anbieter zu wechseln?

VON MARTIN REICHERT

Um Gottes Willen: Die Gasnetze werden geöffnet! „Auch das noch“, schreit der zwar angeblich mündige, aber in Wirklichkeit völlig überforderte Verbraucher, der nach einer Grundsatzverständigung der Netzbetreiber ab 1. Oktober dieses Jahres seine Lieferanten frei wählen dürfen soll: Alle Gasanbieter sollen laut Bundesnetzagentur einen „diskriminierungsfreien“ Zugang zum vorhandenen Pipelinenetz in Deutschland erhalten.

Akute Explosionsgefahr

Es besteht also akute Explosionsgefahr: überquellende Leitz-Ordner, zugemüllte Briefkästen voller Rechnungen, Wechsel-Anträgen, Mahnungen und Reklamationen, quälende Gedanken und Zweifel. Die Fußgängerzonen werden voller dynamischer junger Menschen mit vor den Bauch geschnallten Werbeplakaten sein, die einem Broschüren und Kugelschreiber in die Hand drücken wollen: „Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, den Gasanbieter zu wechseln?“ Teillieferungen. Kurzfristverträge, flexible Preismodelle. Zusammenhänge, deren Komplexitätsstruktur schon von sich aus verhindert, dass man einfach mal so über sie nachdenken würde, geschweige denn wollte.

Strom kommt aus der Dose

Als ob es nicht schon schlimm genug wäre: Die Auseinandersetzungen zwischen Call-by-Call Anbietern und der bockigen Telekom rauben einem nachts derart den Schlaf, dass man im Traum nicht mehr daran denken möchte, eventuell den Festnetzbetreiber zu wechseln.

Stattdessen sitzt man phlegmatisch am Frühstückstisch und bleibt schön bei der Post, ganz egal, ob das Ganze nun Telekom heißt.

Strom kommt bei den meisten Endverbrauchern immer noch einfach aus der Steckdose, und das Gas soll mal schön weiterhin aus der Leitung strömen, und zwar dorthin, wohin man es braucht. Diskriminierungsfreier Zugang? Am liebsten würde man sie unterdrücken und gängeln, die neuen Gasanbieter.

„Globalisierung nützt nichts, wenn sie zu Hause nicht funktioniert“, mahnte Altbundeskanzler Helmut Schmidt unlängst im Rahmen einer Plakatwerbung der Sparkasse. Er hat natürlich völlig Recht: Der gefordert flexible Mensch stößt recht schnell an seine Grenzen, allein schon aus Zeitmangel. Gut, dass wir verglichen haben? Ja, wann denn! Wer hat schon Zeit und Lust, sich stundenlang über günstige Tarife zu informieren, wer den Nerv, je nach Kostenlage den Anbieter zu wechseln? Es ist ja nicht so, als ob man einfach ein Geschäft weiter geht, weil dort die Milch billiger ist.

Der Impuls, einen einmal bewährten „Netz“-Anbieter, gleich, ob es sich um Strom-, Wasser-, Gas-, Telefonleitungen oder Schienen handelt, zu wechseln, wird nicht so schnell ausgelöst. Wer einmal im Telekom- oder sonstigen Netz-Callcenter schlecht behandelt wurde, kennt die heißen Rachefantasien, die kalte Wut und Entschlossenheit, dieses Mal wirklich zu gehen und nie wiederzukommen. Und dann steht man doch wieder vor der Tür. Es ist so vertraut und bequem, all die schönen Erinnerungen. Warum dies eintauschen gegen die leeren Versprechungen („gute Qualität und Service zu günstigen Preisen“) von Unbekannten – mögen sie auch in übelster Weise diskriminiert worden sein, ans Herz wirft man sich ihnen deshalb noch lange nicht.

Glücklich der autonome, emanzipierte Mensch, der ein Eigenheim sein Eigen nennt: Er kann die Erdwärme anzapfen, Sonnenkollektoren auf sein Dach stellen oder einen Holzvergaserofen in den Keller. Die in abhängigen (Miet-) Beziehungen Lebenden müssen hingegen mit dem Ungemach steigender Energiepreise leben.

Alles richtig machen

Schön in diesem Zusammenhang: Nach übereinstimmender Meinung aller Beobachter wird die Öffnung des Gasmarktes tendenziell zu einer Senkung der Preise führen – auch weil sich die Gewinnmargen der Anbieter hauptsächlich aus den „Durchleitungspreisen“ rekrutieren, deren Höhe letztendlich, im Gegensatz zu den Einkaufspreisen, flexibel verhandelt werden kann.

Wenn man sich richtig verhält, also global denkt und dann klug lokal handelt, hat die Öffnung des Gasmarktes nur gute Seiten: Man muss einfach nur lange genug toter Mann oder tote Frau spielen. Nix machen. Irgendwann müssen auch die bewährten Exmonopolisten mit den Preisen runter, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Spätestens dann profitiert auch der handlungsunfähigste, müdeste und unflexibelste Endverbraucher von der Öffnung des Marktes, den stressigen Teil können ja die flexiblen Wechsler übernehmen. Mündige Endverbraucher wissen: Geiz kann so geil sein.