: Wie wir uns jetzt ins Netz gehen
Was machen all die einsamen Menschen, die im Internet auf Partnersuche gehen? Sie treffen dort auf andere einsame Menschen und werden glücklich. Das moderne Geschäft mit dem „Online-Dating“ boomt, weil es sehr klassische Bedürfnisse bedient – und die Liebe nicht mehr dem Zufall überlässt
von ARNO FRANK
Um eine flüchtige Sprachkritik kommt nicht herum, wer einen fundamentalen Wandel in unser aller Paarungsverhalten unter die Lupe nehmen will. Denn kaum jemand hat heute noch ein „Stelldichein“, geschweige denn ein „Tête-à-Tête“. Weil es einfach irrsinnig ineffizient ist, sich an einem Treffpunkt einzufinden, um dort mit einem potenziellen Partner probehalber die Köpfe zusammenzustecken. Das „Rendezvous“ ist hoffnungslos demodé, up to date ist nur – das Date.
Fast 3.000 kostenlose und kommerzielle Partnervermittlungen gibt es im Internet, und das Angebot dieser „Datingportale“ reicht von der diskreten Ermöglichung flüchtiger Seitensprünge bis zur seriösen Anbahnung der Ehe. Mehr als 500 Millionen Dollar hat die Branche im vergangenen Jahr in den USA umgesetzt. In Europa wurden „nur“ 160 Millionen Euro für „Online Dating“ ausgegeben – ein Geschäftsvolumen, das sich nach Ansicht von Analysten bis 2010 noch vervierfachen soll. Grund dafür ist die demografische Tristesse, die vor allem in der Altersgruppe zwischen 18 und 69 herrscht: Hier lebt jeder fünfte Deutsche allein, Tendenz steigend. Der moderne Single, wir erkennen ihn an seiner Einsamkeit und Solvenz. Und an seiner Vorliebe für unverbindlich virtuelle Jagdgründe.
„Wo hätte ich sie denn sonst kennen lernen sollen?“, fragt Bernhard K. (alle Namen geändert) und grinst. Zwar lernen sich laut Statistik die meisten Paare auf Parties, im Verein oder in der Kneipe kennen. „Aber dass ich im Club wirklich jemanden treffe, der zu mir passt, das ist doch eine Legende“, sagt Bernhard: „Abgesehen davon, dass ich nach Feierabend oft keinen Nerv mehr habe, noch groß auf Tour zu gehen“. Der 34-Jährige kleidet seine sportliche Figur in distinguiertes Tuch, erweist sich im Gespräch als ebenso intelligent wie humorvoll und arbeitet als Anwalt für Audi in Ingolstadt.
Seine Caroline (36) hat er über die Vermittlungsbörse neu.dekennen gelernt.
Nach einer privaten Enttäuschung war er aus Spanien zurückgekehrt und, tja, nun mal „neu“ in Ingolstadt. Aber je mehr die Karriere Fahrt aufnahm, umso größer wurde der Wunsch, dieser Karriere auch eine sinnvolle Richtung zu geben: „Ich wollte Nägel mit Köpfen machen“, sagt er, und Caroline nickt dazu: „Das wollten wir beide: eine Familie gründen.“ Zwei Menschen also, die ihrem gemeinsamen Ziel strebsam entgegenleben – und etwas so Wichtiges keinesfalls dem Zufall überlassen wollen: „Ich überlasse es ja auch nicht dem Schicksal, bei welcher Bank ich meinen Bausparvertrag abschließe“, sinniert Bernhard.
Auch Caroline kann auf eine „schicksalhafte Begegnung“ als Gründungsmythos ihrer Beziehung gut verzichten. Sie wohnt seit kurzem in Stuttgart, wo sie in einem Verlag für Kinderbücher als Lektorin arbeitet. Nicht, dass sie etwas gegen „Romantik“ hätte, nur gegen den „Romantizismus“, zwei Menschen müssten füreinander bestimmt sein. Mit der Distanz hätten sie keine Probleme, versichern sie beide: Vor einem Jahr haben sich Bernhard und Caroline getroffen, vor einem halben Jahr geheiratet, und spätestens in einem halben Jahr wird Nachwuchs erwartet.
Zu den nüchternen Romanzen gesellen sich nüchterne Zahlen. Laut einer Studie der Universität Zürich liegt die Chance, dass eine virtuelle Bekanntschaft in eine feste Partnerschaft mündet, bei immerhin 25 Prozent. Zwar ist laut Niklas Luhmann die Liebe eine „ziemlich große“ und „nicht voraussagbare Unwahrscheinlichkeit“. Aber die kostenpflichtigen (und damit seriösen) Plattformen arbeiten daran, diese Unwahrscheinlichkeit mit möglichst ausgeklügelter Software zu minimieren.
Wer einen Partner sucht, hinterlegt bei seinem Anbieter in der Regel ein Persönlichkeitsprofil, geordnet nach Parametern wie Alter, Maßen, Vorlieben, Abneigungen und Wünschen. Je präziser dieses Profil, umso schneller findet das Programm ein entsprechendes Gegenüber. Und wenn nicht? Bernhard hatte vor Caroline drei andere Frauen „gedated“ – keine Rendezvous mit Open End, sondern Termine mit konkretem Ziel: „Man geht dann auch entspannter auseinander, weil ja von Anfang an klar ist, worauf man hinaus will – und worauf eben nicht.“ Katja F. sieht das ein wenig anders: „Mit meinen 33 Jahren würde ich schon gerne langsam mal zu Potte kommen“, sagt sie. Als freie Kulturarbeiterin in Berlin kommt sie „in der Szene zwar gut rum, in jeder Hinsicht“, fügt aber zwinkernd hinzu: „Never in the office, das bringt nur Ärger!“ Weil sie aber trotzdem hin und wieder gerne ihren „Marktwert“ testet, hat sie bei parship.de, friendscout24.de und neu.de jeweils leicht unterschiedliche Profile hinterlassen, „um die Chancen zu verbessern“. Katja beschreibt sich als „selbstbewusst promisk“ und zitiert trotzdem, nach ihrem größten Wunsch befragt, eine Textzeile der Gruppe Tomte: „Endlich einmal etwas, das länger als vier Jahre hält.“
Bisher habe sie nur Nieten gezogen: „Aber neulich war ich mit zwei dieser Nieten gleichzeitig im Bett“, und das sei ja auch mal ein ganz interessantes Erlebnis gewesen – zumal als Ergebnis einer Suche bei seriösen Börsen. „Bei diesen anderen“, sagt sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, „kommst du dir vor wie im Swinger-Club.“
Hier wie dort gibt es einen Überschuss an Männern. In der spezialisierten Sparte der Portale für Homosexuelle etwa hat sich gayromeo.de zu einer Art weltweites „Einwohnermeldeamt für Schwule“ entwickelt, wie ein Insider sagt: „Das ufert aus.“ Immer häufiger aber mündet ausgerechnet etwas so Flüchtiges wie ein Klick in etwas so Dauerhaftes wie eine Ehe. Warum?
Weil erstens soziale Bindungen, und seien sie auch noch so fest geknüpft, den Fliehkräften einer beschleunigten Welt nicht mehr gewachsen sind. Und weil, zweitens, bei online vermittelten Begegnungen die Gefahr der Zurückweisung schon im Vorfeld entschärft ist. Weil beiden Beteiligten schon vor dem ersten Treffen klar ist, ob es nun auf schnellen Sex oder schnelle Hochzeit hinauslaufen soll.
Alexander T. (33) kann das bestätigen. Seit drei Jahren ist der US-Amerikaner mit einer Niederländerin verheiratet – um der Abschiebung in die USA zu entgehen. Arrangiert wurde ihr erstes Treffen von einer Seite, bei der das Persönlichkeitsprofil durch eine für Außenstehende höchst kryptische Liste abgelöst wird: „Fila, Jeepster, Fred Perry, Studio Ghibli, Suhrkamp oder Wrigley’s “, erinnert sich Alex: „Nichts Persönliches, nur Lieblingsmarken.“
Daraus ermittelte das Programm dann gleichsam über Bande eine ideale Partnerin mit ähnlichen Vorlieben für französische Turnschuhe, schottische Plattenfirmen, britische Hemden, japanische Zeichentrickfilme, deutsche Literatur und amerikanischen Kaugummi: „Gleich bei unserem ersten Treffen haben wir uns die Köpfe heiß geredet, bis spät in die Nacht.“