Schlechte Schöffen-Charge

PROZESS UM JONNY K.

Die Rechtsprechung verlangt deutlichere Anzeichen, um ein Urteil aufzuheben. Ein Schnarchen etwa

Es ist ganz still im Gerichtssaal, als der 19-jährige Angeklagte Onur U. eine Erklärung verliest. Es dauert. Das erste Mal hatte der Anwalt des früheren Amateurboxers die mehrere Seiten umfassende Einlassung vorgetragen. Als Onur U. fertig ist, konzediert der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck – an den Angeklagten gewandt – in gewohnt trockener Art: „War anstrengend. So viel haben Sie noch nie in Ihrem Leben gelesen.“

Zurück auf Los. Der Prozess um die tödliche Schlägerei auf dem Alexanderplatz hat am Donnerstag von vorn begonnen. Wegen der Befangenheit eines Schöffen war die Verhandlung am Montag geplatzt, nachdem der Laienrichter von der B.Z. mit einer abfälligen Äußerung über die Verteidiger zitiert worden war.

Vier Tage hatte das Gericht bis dahin verhandelt. Das ganze Programm muss nun wiederholt werden. Vergleichbares sei ihm nur einmal in 34 Dienstjahren passiert, sagte der Vorsitzende Richter. Er klang konsterniert.

Erstes Mal. Zweites Mal. Es geht ruhiger und unspektakulärer zu als zu Beginn. Die sechs Angeklagten bestreiten wie im ersten Prozess, schuld am Tod von Jonny K. zu sein. Aber dass Onur U. nun nicht nur selbst liest, sondern auch Fragen beantwortet, zeigt: Nicht alles ist gleich.

In einem Punkt indes scheint alles beim Alten: Hellwach und mit einer Prise Humor führt der Richter den Vorsitz. Auch was die Laienrichter angeht, ist alles wie gehabt. Einem der beiden neuen Schöffen sackt schon am ersten Prozesstag vor Müdigkeit das Kinn auf die Brust. Mit der männlichen Schöffencharge hat die 9. Jugendkammer einfach Pech.

Denn: Schläft ein Schöffe, kann das ein Revisionsgrund sein. Noch gibt es Hoffnung. Allein das Schließen der Augen genüge nicht, die Rechtssprechung verlangt deutlichere Anzeichen, um ein Urteil aufzuheben. Ein Schnarchen zum Beispiel.

PLUTONIA PLARRE