ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Syrien – Kunst der Kapitulation

In seinem Buch „Die Kunst der Niederlage. Eine Geschichte der Kapitulation“ (C.H. Beck, 2013) kommt der in Leeds lehrende Historiker Holger Afflerbach immer wieder auf die „unsichtbare Hand“ zu sprechen.

Eine „unsichtbare Hand“, die über die Jahrhunderte hinweg aushandelte, wie bewaffnete Konflikte geführt und beendet wurden – Diplomatie im Hintergrund des Kriegsgetöses. Während die Antike vor allem „Siegen oder Sterben“ kannte, Leben oder Tod, bildete sich von der frühen Neuzeit an ein moralisches, immer stärker verrechtlichtes Regelwerk heraus, welches die geordnete Übergabe im Falle von Niederlage und Kapitulation beschrieb. Letztlich ging es darum, dem Besiegten sowie der Zivilbevölkerung das Überleben zu sichern, die Voraussetzung zu schaffen, um über Kapitulationsbereitschaft die Kriege abzukürzen: Es ergibt sich nur, wer nicht abgeschlachtet wird.

Außersystemische Kriege

Nach den totalen Kriegen des letzten Jahrhunderts (Erster und Zweiter Weltkrieg) versuchte die Staatengemeinschaft über die Weiterentwicklung von Völkerrecht und Genfer Konvention, kriegsführende Parteien stärker an die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards zu binden. Schutz der Zivilbevölkerung, kein Einsatz von Massenvernichtungswaffen (Gas!), keine Folter oder Ermordung Besiegter usw. Mit mäßigem Erfolg. Afflerbachs aktuelle militärgeschichtliche Abhandlung zeigt, dass sich an Abmachungen oft nur gehalten wurde, sofern sich die Kombattanten davon Vorteile versprachen. Ohne starke Droh- und Sanktionspotenziale bei Verstößen gegen Kriegs- und Menschenrecht fühlen sich nur Wenige an selbige gebunden. Gerade bei den häufiger werdenden „außersystemischen Kriegen“. Weswegen sollte etwa Assad in Syrien einlenken, da er genau durch seine Verstöße die Oberhand behält?

Der syrische Despot verstößt systematisch gegen Völker- und Menschenrecht – er lässt das Volk aus der Luft bombardieren, von ausländischen Truppen massakrieren (libanesische Hisbollah, iranische Revolutionsgarden), Kriegsgefangene und zivile Oppositionelle bestialisch ermorden. Doch weder Obama noch die Westeuropäer fallen ihm in den schlachtenden Arm. Die „unsichtbare Hand“ wird in Syrien von Russland geführt. Assad und Putin – das ist von der Logik her eine Mischung aus antiker Maxime „Sieg oder Sterben“ und neuzeitlichem totalen (Vernichtungs-)Krieg. Assads Soldaten, die sich 2011/12 weigerten, auf die weichen Ziele der zivilen Proteste zu feuern, blieb nur Folter und Tod oder Desertation und damit der Kampf ums nackte Überleben. „Pardon wird nicht gegeben“, Assads Losung schließt das Überleben Aufständischer aus.

Im Ersten Weltkrieg desertierte ein ganzes Infanterieregiment des Habsburger Heeres, ohne einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben. Die tschechischen Kämpfer sahen ihre Interessen nicht mehr bei Österreich. Die „unsichtbare Hand“ hatte im Hintergrund zum Wohle der Menschen gewirkt. Von Assad und seinen Verbündeten in Syrien ist ohne militärischen Druck keinerlei diplomatisches Einlenken zu erwarten: „Siegen oder Sterben“. Die militärische Hilfe des Westens für den demokratischen Teil der Rebellen wäre das Gebot der Stunde. Damit verbunden, die Skizzierung einer demokratischen Nachkriegsordnung, die den moderaten Teil des Assad-Lagers mit einschließt, ihnen die militärische Niederlage versüßte. Noch sind wichtige Orte und der Norden des Landes befreites Gebiet.

Der Autor leitet das Kulturressort dieser Zeitung