Darf der das? Linssens Haushaltstricks

Die neue NRW-Haushaltspolitik im Expertentest: Der Finanzwissenschaftler Helmut Seitz über die konservativ-betuliche Sparpolitik von Landesfinanzminister Linssen und „Nirwanazahlen“ aus der Steuerschätzung

Rechnet NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) das Land arm? Ist der Kassenwart gar ein politischer Trickbetrüger? Die Opposition wirft dem Minister Tricks bei der Etataufstellung vor. Die taz fragte den Finanzwissenschaftler Helmut Seitz, ob die Vorwürfe stimmen:

Trick 1: Minister Linssen rechnet nicht mit zu erwartenden günstigen Steuerschätzungen. Er kürzt kräftig bei den Landesausgaben, obwohl er wahrscheinlich Mehreinnahmen verbuchen kann.

Helmut Seitz: Was Linssen macht, ist absolut vernünftig. Einnahmen, die auf den Prognosen der Steuerschätzung beruhen, sollten die Länderfinanzminister nicht einplanen. Die Erfahrung der letzten 30 Jahre zeigt, dass bis zu ein Drittel der strukturellen Defizite in den Länderhaushalten auf den falschen Traumzahlen der Steuerschätzer beruhen. Die Qualität der zwei Mal im Jahr veröffentlichten Steuerschätzungen würde bei der Stiftung Warentest das Prädikat „extrem mangelhaft“ erhalten. Das sind oftmals Nirwanadaten, auf denen sich keine kluge Haushaltspolitik aufbauen lässt. Das wäre ungefähr so, als wenn man einen Lottoschein abgibt und daraufhin erstmal einen Porsche ordert.

Trick 2: Linssen hat sich einen Sparstrumpf angelegt und Milliarden Euro bei Landesgesellschaften geparkt, so der Vorwurf der Opposition. So rechne Linssen NRW künstlich arm, kritisiert die SPD und klagt auch deshalb vor dem NRW-Verfassungsgericht gegen den Haushalt 2005.

Seitz: Das kann ich nicht konkret nachprüfen. Prinzipiell muss dies nicht illegitim sein. Angesichts der Kohorten von Juristen, die die Finanzministerien beschäftigen und die sicherlich nicht illegales zulassen würden, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Klage dagegen erfolgreich sein kann.

Trick 3: Linssen verzichtet darauf, geplante Verkäufe von Landesgesellschaften wie die Privatisierung der LEG in den Haushalt einzustellen.

Seitz: Gott sei Dank. Es gibt keinen Grund, außerplanmäßige Vermögenswerte im Vorgriff zu etatisieren. Erst wenn die Privatisierungen tatsächlich vollzogen wurden, sollte das damit eingenommene Geld im NRW-Landeshaushalt auftauchen und ausschließlich in den Abbau der Nettokreditaufnahme fließen.

Trick 4: Die Bundesregierung plant für 2007 eine Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent. Doch die dabei für NRW zu erwartenden Einnahmen (bis zu 1,5 Milliarden Euro) kommen in der Finanzplanung Linssens nicht vor.

Seitz: Die würde ich auch rauslassen. Zunächst ist die Mehrwertsteuererhöhung noch nicht Gesetz. Wer weiß, ob das Merkel-Kabinett diese Pläne nicht noch einmal überdenkt. Unter Umständen könnte auch NRW im Fall einer Mehrwertsteuererhöhung mit einem schönen Betrag rechnen. Trotzdem lässt sich schwer einschätzen, wie die Verbraucher auf eine Erhöhung reagieren würden. Möglicherweise kommt es zu Einbrüchen im Massenkonsum und zu konjunkturellen Negativfolgen. Dann brächte die dollste Mehrwertsteuererhöhung nichts.

Das Seitz-Fazit: Linssens Ansatz, beim Etat konservativ zu kalkulieren, ist vernünftig. Wenn er so weiter macht, steht in NRW wohl eine Wende in der Finanzpolitik an. Sollte Linssen in den nächsten Jahren Zusatzeinnahmen etwa aus dem Steuertopf bekommen, ist es wichtig, dass dieses Geld nicht für neue Ausgabenprogramme, sondern für die Senkung der Nettoneuverschuldung verwendet wird. MARTIN TEIGELER