Regierung spart um jeden Preis

Elf Landesbetriebe privatisiert, mehr als 30.000 Stellen weg: Das klamme Kabinett Rüttgers plant den Radikalumbau der Landesverwaltung. Doch CDU-Finanzminister Linssen will noch mehr

VON MARTIN TEIGELER
UND ANDREAS WYPUTTA

Nordrhein-Westfalens Landesverwaltung steht vor einer massiven Privatisierungswelle. Die von CDU und FDP getragene Landesregierung plant, sich aus mindestens elf bisher staatlichen Betrieben zurückzuziehen. Das geht aus internen Papieren der Staatskanzlei und des Innenministeriums hervor, die der taz vorliegen. Ausdrücklich genannt werden das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, das Landesvermessungsamt, die gemeinsamen Gebietsrechenzentren (GGRZ) Hagen, Köln und Münster, der geologische Dienst, das Mess- und Eichwesen, das Materialprüfungsamt, der Landesbetrieb Forst, das Staatsbad Oeynhausen sowie der Landesbetrieb Straßen NRW.

Aus den betroffenen Betrieben heraus sollen zunächst rund 10.000 Landesbedienstete in einen neu zu schaffenden Stellenpool versetzt werden, Langfristig ist von über 34.000 Beschäftigten die Rede, die „innerhalb und außerhalb des Landesdiensts“ versetzt werden sollen. Begründet wird die Privatisierungswelle mit der „extrem angespannten Haushaltssituation“. Möglicherweise erzielbare Erlöse aus den Verkäufen aber werden nicht benannt.

Scharfe Kritik kommt deshalb von der Opposition – auf Antrag der SPD wird der Landtag heute in einer aktuellen Stunde über die Privatisierungen debattieren. „Das ist der Beginn von betriebsbedingten Kündigungen auch bei den Landesbediensteten“, warnt Rüdiger Sagel, Wirtschaftsexperte der Grünen. „Dabei ist nicht einmal klar, wie viel eingespart werden soll.“ Der Staat dürfe sich aus elementaren Bereichen wie der Sicherstellung von Mobilität zurückziehen, fordert auch SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger. Außerdem sei etwa der Landesbetrieb Forst hochprofitabel, habe mit seinen Wäldern ein riesiges Vermögen, das CDU und FDP jetzt verramschen wollten: „Das schwarz-gelbe Schlagwort ‚privat geht vor Staat‘ wird zu einer eigenen Ideologie, zum Wert an sich“, ärgert sich Jäger. „Das ist einfach dumm.“

Dabei sind die Privatisierungsvorhaben nur ein Detail der „Privat geht vor Staat“-Linie der schwarz-gelben Koalition. Am Dienstag hatte CDU-Finanzminister Helmut Linssen bei der Vorstellung seiner mittelfristigen Finanzplanung einen verschärften Sparkurs bis 2010 angekündigt (taz berichtete). Damit will sich der NRW-Kassenwart von der „Märchenbücher“-Haushaltspolitik der rot-grünen Vorgängerregierung absetzen. Gerade weil die SPD-geführten Regierungen den Etat oft schön gerechnet hätten, wolle man konservativ und seriös kalkulieren, so der Anspruch von Linssen.

Während Schwarz-Gelb erst noch seinen Haushalt 2006 durch die Parlamentsberatungen in diesem Frühjahr bringen muss, präsentierte Linssen bereits neue Sparideen. So sollen die Mittel für landesgesetzliche Leistungen und Förderprogramme im nächsten Haushalt 2007 um weitere 500 Millionen Euro gekürzt werden. Die Personalkosten sollen im kommenden Jahr um rund 100 Millionen Euro, in 2008 sogar um 150 Millionen Euro sinken. Auch bei den Steinkohlesubventionen wolle die Koalition an ihrem Ziel festhalten, bis 2010 rund 750 Millionen Euro einzusparen, sagte Linssen. Man strebe aber in den Verhandlungen mit dem Kohlekonzern RAG einen sozialverträglichen Kompromiss an. Falls man jedoch nicht übereinkomme, schloss Linssen nicht aus, den entsprechenden Etatposten im Jahr 2010 auf null zu setzen. Spätestens in diesem Jahr will Schwarz-Gelb wieder einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen, einzelne FDP-Politiker streben für 2012 gar einen ausgeglichenen Etat ohne Neuverschuldung an.

Die NRW-Opposition wirft Linssen vor, jetzt zu sparen, um für die zweite Hälfte der Legislaturperiode Verteilungsspielräume zu gewinnen. „Mit diesem Kahlschlag wird ein Sparstrumpf auf Kosten der sozialen Infrastruktur in diesem Land angelegt“, sagt SPD-Finanzpolitikerin Gisela Walsken. Die Theorie der Sozialdemokraten: Pünktlich vor der Landtagswahl 2010 werde die Landesregierung wieder umschalten von Kürzungs- auf Verteilungspolitik für die CDU-Klientel.