Der liebe Leberwurstmann

Über den Hügeln weht der kalte Wind, ein Vogel fällt erstarrt von seinem Ast.Und in der Krippe kräht ein bleiches Kind,und Gänse fordern schnatternd ihre Mast.

Das Scheunentor steht schon seit Tagen offen,Traktoren walzen Spuren in den Schlamm. Die Bauern lutschen lustlos an Kartoffeln.Sie warten alle auf den Leberwurstenmann.

Von fern lässt sich ein Käuzchen hören.Hohl blickt die Bäuerin in ihren leeren Topf, dann auf den Tisch, wo zwei verfaulte Möhren verzweifelt senken ihren weichen Kopf.

Das Wildschwein im Gebüsch grunzt ausgehungert. Ein Rehkitz springt, soweit es eben springen kann, derweil der Hofhund an der Kette schlaflos lungert. Sie alle fragen: Kommt der Leberwurstenmann?

Die Kröten in dem Teich sind längst erfroren. Ein Kranich hat sich wohl total verirrt. Zum Glück hat man die Schafe nicht geschoren, und auch die Pferde sind noch nicht geschirrt.

Wozu denn auch? Der Pflug steht in der Scheuer, Spinnweben weben sich daran. Und eisig dringt der Regen ins Gemäuer. Und alle harren auf den Leberwurstenmann.

Da klingelt es, man hört ein Schlurfen und ein Knacken, der Leberwurstenmann pocht heftig an der Pforte. Und hätte man genügend Holz zum Torte backen, dann büke man die Leberwurstentorte.

Die Messer sind gewetzt, die Gabeln schnell zur Hand, schon ist die stramme Pelle aufgeschlitzt. Und auch die Kinder kommen angerannt, man sieht, wie Gier in ihren Augen blitzt.

Ein Grölen, Schmatzen, ein Gekreisch und Schnauben, die Leberwurst beginnt, sich innen hohl zu fühlen. Sie spürt, wie klamme Hände ihr das Herzblut rauben, und voller Lust in ihren Eingeweiden wühlen.

Vorbei! Die schlaffe Pelle schleppt sich hin zum Gatter, Bauer und Bäurin, Kind und Wildschwein sind sehr satt. Die Gänse üben sich zufrieden im Geschnatter, und fröhlich walzt ein Traktor tote Kröten platt.

Über den Hügeln weht der kalte Wind, der Vogel ist zum Ast zurückgekehrt. Mit vollem Magen döst das bleiche Kind, derweil der fette Hofhund seinen Darm entleert.

O lieber Leberwurstenmann, komm wieder, nächstes Jahr, dann sind womöglich die Kartoffeln gar.

German Neundorfer