Lügt der Bischof …

… oder lügt Ministerpräsident Oettinger? Oder was ist da los? 16 Fragen zum Streit zwischen der katholischen Kirche und dem Landeschef von Baden-Württemberg, zur Rolle der CDU und des SWR

VON PETER UNFRIED

Das ist ein schwerer Vorwurf, den der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart indirekt gegen Baden-Württembergs evangelischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) richtet: Lüge! Es geht im Kern um die Frage, ob und wann der Ministerpräsident mit dem Bischof der mächtigen Diözese darüber gesprochen hat, wie dessen Ärger über den Sozialminister Andreas Renner aus der Welt zu schaffen sei. Da sagt Oettinger (in der FAZ von vorgestern), er habe „ein Gespräch mit dem Bischof geführt, danach habe ich geglaubt, dass die Sache ausgeräumt sei“. Die FAZ datiert das Gespräch auf November 2005. Bischof Gebhard Fürst (FAZ von gestern) lässt widersprechen: Falsch, das sei erstmals am 27. Januar passiert – dem Tag, an dem Renner sich für eine flapsige Äußerung entschuldigte – und dennoch zurücktrat.

Die Sache hat diverse Fragen aufgeworfen, deren Beantwortung Baden-Württemberg bis zur Landtagswahl am 26. März beschäftigen wird.

Frage 1: Wer lügt hier – Bischof oder Ministerpräsident?

Letztlich ist es für Außenstehende inhaltlich-säkular schwer zu erfassen, warum Renner zurücktreten musste. Die Situation war so: Er stritt mit einem Kirchenmann, der sein Engagement für eine schwul-lesbische Veranstaltung kritisierte. Da platzte der Bischof ins Gespräch, worauf er ihm zum Zölibat seine Position mitteilte – die von Millionen geteilt wird: „Fangen Sie doch erst mal an, Kinder zu zeugen“ Bischofs-Variante). Oder: „Dann lassen Sie erst mal zu, dass Priester Kinder zeugen“ (Renner).

Frage 2: War das Problem, dass Renner sich beim Bischof zu spät entschuldigte?

Allerdings hatte der Bischof gar keine Entschuldigung verlangt. Jedenfalls nicht explizit.

Frage 3: Warum reden Kleriker schwurbelig und sagen nicht, was sie wollen?

Was der Bischof nach Recherchen der Stuttgarter Zeitung tat: bei einem Mittagessen in Assisi am 4. Oktober vor Journalisten klar und deutlich über seinen Schmerz zu sprechen – darunter auch der Leiter des Tübinger SWR-Büros, Andreas Narr, sowie der frühere SWF-Hörfunkdirektor Hubert Locher. Altjournalist und Journalist gingen daraufhin nicht an die Öffentlichkeit, sondern zu Oettinger.

Frage 4: Warum berichtet der SWR-Journalist monatelang nicht im SWR?

Frage 5: Fiel das vielleicht unter das Beichtgeheimnis oder in die Pflicht eines Staatsrundfunks, Affären intern mit der Regierung zu regeln?

Der Rottenburger Ex-OB (selbstredend CDU) Winfried Löffler, offenbar zweitexklusiv vom Schmerz des Bischofs informiert und betroffen, sendet zwei Episteln an den Ministerpräsidenten, um ihm vom Unglück des Bischofs Kunde zu geben. Anfang Januar meldet sich Oettinger. Die Sache sei erledigt. An Dreikönig trifft Löffler den Bischof: Der bestätigt. Ja, alles klar.

Frage 6: Hat Oettinger Löffler angelogen?

Frage 7: Hat der Bischof Löffler angelogen?

Frage 8: Oder lügt Löffler?

Frage 9: Falls hier keiner lügt und die Sache am 6. Januar erledigt war, warum war sie am 25. Januar wieder unerledigt?

Weil der SWR nun berichtete.

Frage 10: Warum berichtete der SWR nun doch?

Danach fordern CDU-Leute jedenfalls Renners Rücktritt.

Frage 11: Warum fordern CDU-Leute den Rücktritt eines CDU-Ministers?

Populäre Erklärung: weil ein „Machtkampf“ tobt in der Landes-CDU. Und die Traditionalisten um Fraktionschef Mappus Minister Renner für das Gesicht dieser gefährlichen und antikatholischen „Erneuerung“ Richtung Modernität und Stadtmenschen halten, die der Ministerpräsident vorantreiben will.

Frage 12: Handelte der Bischof aus eigenem Antrieb (nicht), um dem unchristlichen Treiben Einhalt zu gebieten?

Frage 13: Oder wird der Bischof benutzt für einen innerparteilichen Machtkampf?

Frage 14: Oder wäscht eine Hand die andere?

Zusammenfassung: Nach Ansicht Renners hatte er ein Gespräch mit dem Bischof, in dem er die Sache ausräumte. Nach Ansicht Oettingers hatte auch er ein Gespräch mit dem Bischof, in dem er die Sache ausräumte. Nach Darstellung des Bischofs gab es mehrere Gespräche, aber es wurde niemals etwas ausgeräumt – auch nicht im 3. Januar, als selbst nach Erklärung des Bistums Oettinger die Sache deutlich angesprochen haben muss.

Frage 15: Häh?

Und zum Abschluss …

Frage 16: Ist eigentlich in Stuttgart bekannt, dass Staat und Kirche in Deutschland seit 1919 getrennt sind?

Die Antworten kennt vermutlich nur der liebe Gott.