Der Club der leidenden Regisseurinnen

TRAURIG Die argentinischen Filme der Berlinale beschränken sich auf die Darstellung von Depression und Rebellion mit Lockenwicklern

Dieses Werk erschöpft sich in dokumentarisch anmutenden Einstellungen einer überforderten Mutter

VON ANDREAS FANIZADEH

Was ist nur mit dem argentinische Kino los? Nach „El recuento de los daños“ und „Por tu culpa“ (Panorama und Forum) war jetzt im Wettbewerb „Rompecabezas“ von Natalia Smirnoff zu sehen. Es ist schon wieder ein ins esoterisch kippender, weinerlich-melancholischer Frauenleidensfilm einer argentinischen Regisseurin, die sich offensichtlich wie auch Inés de Oliveira Cézar („El recuento de los daños“) und Anahí Berneri („Por tu culpa“) ästhetisch und positionell im vorletzten Jahrhundert befindet. Der diesjährige Club leidender Regisseurinnen aus Argentinien ignoriert genauso wie die Berlinale-Jury vollständig sämtliche Maßstäbe, die international erfolgreiche argentinische Produktionen (etwa Lucía Puenzos „XXY“, 2007, Lucrecia Martel mit „La ciénaga“, 2001 oder Pablo Trapero mit „El Bonaerense“, 2000) setzten.

Der Radikalitätsgehalt von Regisseurinnen wie Natalie Smirnoff erstreckt sich darauf, eine männlich dominierte Kleinbürgerwelt in Grand Buenos Aires, der Suburb der argentinischen Hauptstadt, vor allem zu dokumentieren. Ein bildlich-fiktionaler Ausbruch aus den sozialen Begrenzungen ist dabei kaum erkennbar. Die „Mami“ ist eine in sich gekehrte, hübsche Fünfzigjährige, die einen Männerhaushalt, zwei fast erwachsene Söhne plus „Papi“ zu umsorgen hat. Hier sind die Rollen – trotz halbwegs liebevollen Umgangs – genauso festgelegt wie die Zugehörigkeit der Männer zu einem der rivalisierenden Fußballvereine River Plate oder Boca Juniors. Doch 90 Minuten Nahaufnahmen von Maria Onetto mit und ohne Blümchenblusen als Modell der Revolte einer manisch Ravensburger Puzzle legenden Melancholikerin, das wirkt begrenzt. Trotz des kleinen eingebauten Ausbruchs in die (groß)bürgerliche Stadt: Der Film bleibt gefangen in den Realitäten der Provinz – und ist für Leute, die meinen, allein eine berechtigte soziale Frage zu stellen, sei schon ein ästhetisches Programm.

Ist es aber nicht. Vielmehr oft eine Ausrede für mangelnde Originalität, wie man sie auch bei dem Forumsfilm „El recuento de los daños“ beobachten konnte. Tristesse pur in Rosario: Inés de Oliveira Cézar inszeniert hier eine durchwegs traurige, in sich gekehrte, attraktive, reifere Unternehmerfrau, die sich ödipal dem einst in der Diktatur verschwundenen Sohn nähert. Das scheint gut gemeint und ist dennoch voll daneben. Was soll das für ein Feminismus sein, wo die Frau nicht Frau ihrer selbst sein darf und wiederum ausschließlich die emotional Getriebene sein soll? Ein Fall von Betroffenheitsduselei und fortgesetztem Paternalismus. So altbacken wie die Kulisse: verschwommene Aufnahmen, die die Erfindung der Farben noch nicht kennt.

Kino zurück auf null. In Rompecabezas führt die nostalgische Haltung ins cineastische Ausstattungsmuseum, mit Puzzlezusammensetzen als Stimmungshöhepunkten, unterlegt mit fieser vorelektronischer Maulorgel- oder Panflötenakustik.

Auch der Panoramafilm „Por tu culpa“ ist kaum besser. Dieses Werk erschöpft sich in zähen, dokumentarisch anmutenden Einstellungen einer überforderten Mutter im Alltagskampf mit ihren Söhnen – das familiäre Elend des bildungsfernen Teils des argentinischen „Mittelstands“. Auch hier eine einzige weibliche Leidensgeschichte ohne die Spur einer Auflösung. Doch auf die käme es gerade an. Für den Anspruch der Berlinale scheint diese Auswahl inakzeptabel. Große südamerikanische Kinoländer wie Argentinien haben aktuell Besseres zu bieten als Depression und Rebellion mit Lockenwicklern.

■ Termine unter www.berlinale.de