Befreit euch, Sklaven der Verbuchstabung

SOUNDS In der Ausstellung „Sounds. Radio – Kunst – Neue Musik“ im n.b.k. gibt es wenig zu sehen, dafür umso mehr zu hören. Neben wenigen aktuellen Arbeiten kann man hier Klassiker der Radiokunst von Walter Ruttmann über John Cage zu Ror Wolf entdecken

Die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion zerfließen genauso wie die Grenzen zu anderen Genres

VON TIM CASPAR BOEHME

In den Erdgeschossräumen des n.b.k. dominiert die Farblosigkeit. Konzentrische schwarz-weiße Kreise am Boden, darüber hängen weiße Lautsprecher. Man meint, sich auf einem riesigen Spielbrett zu bewegen, bei dem man von einem Feld zum nächsten vorrücken muss. Tritt man in einen der Kreise, schaltet sich der Lautsprecher oberhalb des Kopfes ein. Was man zu hören bekommt, steht zu den Füßen geschrieben. Neben Klassikern von John Cage, Samuel Beckett oder Ror Wolf gibt es neuere Beiträge von Andreas Ammer oder Steffen Irlinger zu erschreiten.

Die Hörstücke im Raum werden nicht in voller Länge gespielt, nach wenigen Minuten ist Schluss. Sobald andere Besucher einen benachbarten Ring aufsuchen, vermischen sich die verschiedenen Klänge zu einer Zufallscollage. Wer die Ausstellung nur bis zu diesem Punkt erkundet, dürfte die Räume einigermaßen unbefriedigt verlassen. Dieser Installationsteil soll allerdings bloß der „Sichtbarmachung des Unsichtbaren“ dienen, wobei man selbst dafür recht wenig zu sehen bekommt.

Ortlose Kunstform

Eigentlich ist es schon erstaunlich, dass es so etwas überhaupt noch gibt: experimentelle Hörspiele, Klangcollagen, all diese schwer einzuordnenden Beiträge der öffentlich-rechtlichen Kultursender, denen man als Radiohörer höchstens im Abend- und Spätnachtprogramm begegnet. Radiokunst ist eine ortlose Kunstform, irgendwo zwischen Literatur, Reportage, Klangkunst und Neuer Musik angesiedelt, bestenfalls preisgekrönte Arbeiten werden als Hörbuch vermarktet. Mit der Ausstellung „Sounds. Radio – Kunst – Neue Musik“ bietet der Neue Berliner Kunstverein der unsichtbaren Kunst nun reichlich Raum. Allerdings hat sich in den letzten Jahren eine lebendige Szene freier Hörspielmacher entwickelt, die am Computer arbeiten und sich übers Netz austauschen. Sie wird in der Ausstellung nicht eigens gewürdigt. Hier blickt man vor allem zurück.

Das eigentliche Herz der Ausstellung ist diskret in eine hintere Ecke gerückt. Dort kann man auf einer Sofaecke Platz nehmen, um die einzelnen Arbeiten mit Kopfhörer in Ruhe zu hören. Neben aktuellen Arbeiten sind vor allem Stücke aus der Pionierzeit des Radios zu entdecken, die frühesten Beiträge stammen von 1929. Ausgangspunkt für die Ausstellung sind fünf Arbeiten aus dem Jahr 2009, die als Teil des deutsch-tschechischen Projekts rádio d-cz entstanden. Jedes einzelne dieser Hörspiele steht dabei stellvertretend für eine Facette der Radiokunst: Peter Cusack und Milos Vojechovsky befragten Prager nach ihrem Lieblingsgeräusch und machten daraus Klangkunst, Werner Pöschko wandelt in seinem Feature „Tatra“ auf den Spuren zweier tschechischer Ingenieure, die 1947 mit einem Tatra 87 durch Afrika und Lateinamerika reisten.

Die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion zerfließen in den Arbeiten genauso wie die Abgrenzungen zu anderen Kunstgenres: In „Schnuppertag“ von Barbara Eisenmann und Frieder Butzmann dienten Weblog-Texte von Discountmitarbeitern als Ausgangsmaterial. Die Berichte aus dem Arbeitsalltag bei Lidl oder Aldi werden als dichtes chorisches Stimmengewebe aus Geflüster und Solorezitation zwischen Hörspiel und Musik komponiert, mal wird gesprochen, mal gesungen. Und Butzmann wäre nicht Butzmann, wenn er nicht auch elektronische Klänge hinzufügen würde.

Besonders beeindruckend sind die frühesten Arbeiten der Ausstellung. Theodor Siebs Essay „Der Rundfunk als Sprecherzieher“ aus dem Jahr 1932 ist ein Plädoyer für den Rundfunk als Medium der Stimme. Der Hörer erfährt darin, dass der moderne Mensch zum „Sklaven der Verbuchstabung“ geworden sei, zum Augenmenschen, der die Körperlichkeit der Stimme wiederentdecken müsse. Auch der Regisseur Walter Ruttmann ist mit einem experimentellen Hörstück vertreten, in dem er Stimmen und Maschinengeräusche im Stil der musique concrète zusammenführt.

Die Vielfalt zeigen

Neben den insgesamt 30 ausgestellten Arbeiten gibt es zusätzlich ein Hörarchiv mit über 100 Beiträgen zu erlauschen. Doch selbst wenn man sich viel Zeit mitnimmt, kann man nur einen Bruchteil des präsentierten Materials durchhören. Als Dokumentation der Vielfältigkeit von Radiokunst geht das Konzept von „Sounds“ mehr oder weniger auf. Man weiß nur nicht, ob man der Ausstellung allen Ernstes regen Zulauf wünschen sollte: Sitzen mehr als sechs Besucher um den zentralen „Hörtisch“, dürfte es ziemlich eng werden.

■ n.b.k., bis 28. März, Dienstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr, Donnerstag 12 bis 20 Uhr