Ach Kinder, geht spielen

Über Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung streiten sie mal wieder: militante Liberale und unreife Muslime

Diese Rhetorik hat eine große Anziehungskraft auf etwas schlapp gewordene Männer jenseits des Peaks ihrer Schaffenskraft

VON ROBERT MISIK

Wer kleine Kinder hat, kennt das: Wenn ihnen ein Purzelbaum glückt, sind sie fest davon überzeugt, es ist ein Salto gewesen. Wehe, man kommt ihnen damit, dass ein Salto etwas Kunstvolleres ist als eine krumme Rolle. Dann wird geflennt. Eltern, die sich das ersparen wollen, sagen darum von vornherein: „Ganz toll war er, der Salto.“ Daran ist nichts Schlimmes, bis zu einem gewissen Alter. Die Wahrheit, scharfe und ungerechte Kritik, sind Kindern nicht zumutbar. Erwachsenen freilich schon.

Tiefgläubige, auch moderate Muslime erwarten aber offenbar, dass man sie behandelt wie unreife Pennäler. Angesichts globaler Erregung um ein paar Karikaturen in einer rechtspopulistischen dänischen Zeitung hört man wieder all die Catch-Phrasen, die man langsam schon satt hat: „zutiefst beleidigende Karikaturen“, „Herabwürdigung“, „Kränkung der religiösen Gefühle“.

Sie wollen, dass man sie als Gleiche behandelt, aber wenn man ihnen zumutet, was allen zugemutet wird, dann schreien sie auf. Jeder darf hier glauben, was er will, aber er muss auch zugestehen, dass andere das, was er glaubt, für gefährlich, lächerlich oder einfach dämlich halten – und das auch offen sagen. Selbst wer an keinen Gott glaubt, hat meist doch Werte und Überzeugungen, über die andere gelegentlich ihren bitteren Spott treiben. Da muss man durch, das hält man aus. So ist das in einer freien Gesellschaft. Sie hat dafür auch ein paar Vorzüge.

Gewiss, es gibt rote Linien. Wenn sich durch den Spott über religiöse Dogmen als inneres Motiv ein Rassismus zieht, der eine ganze Ethnie, Minderheit oder Kultur stigmatisiert, dann hört sich die Satire auf – dann erfüllt sie ganz schnell den Tatbestand der Verhetzung. Man hat es hierzulande einst in dieser Disziplin zu großer Meisterschaft gebracht. Bei den Karikaturen, die der Jyllands-Posten abdruckte, ist dies aber nicht der Fall. Die sind teilweise von spitzer Ironie – wie jene, in der der Prophet eine Reihe noch kokelnder Selbstmordattentäter aus dem Himmel verweist mit dem Hinweis: „Halt, uns sind die Jungfrauen ausgegangen.“ Einzelne sind auch von plumperer Härte. Aber die Darstellung des Propheten, der statt eines Turbans eine glimmende Bombe am Kopf trägt, muss sich eine Religionsgemeinschaft schon gefallen lassen, in deren Reihen es eine nicht verschwindende Minderheit gibt, die glaubt, mit Sprengstoffgürteln und Fleischermessern in einen Dschihad gegen Ungläubige und vom Glauben Abgefallene ziehen zu müssen.

Doch wie um zu beweisen, dass jede Kultur ihre eigenen Dummköpfe hervorbringt, tritt bei Gelegenheiten wie diesen nun regelmäßig eine relativ neue Spezies auf: die des kampfeslustigen Liberalen, des Kriegers gegen den Totalitarismus. Kaum vernimmt er ein „Allahu akbar“, entfährt ihm ein zornbebendes „Islamofaschismus“. Wo drei Männer mit Vollbart beieinander stehen, wittert er die Gefahr eines neuen „Totalitarismus“. Wenn jemand fragt, ob jeder Kraftausdruck oder Witz, der zwar nicht verboten ist, wirklich das nützlichste Instrument ist, die modernen Kräfte im Islam zu stärken, wähnt er den Geist des Appeasement – also die Unkultur, die Feinde der Freiheit besänftigen zu wollen, statt ihnen mit Entschiedenheit entgegenzutreten.

Für ihn sind die Muslime die neuen Nazis, und ob es sich um einen Traditions-Pascha aus Ostanatolien, einen Al-Qaida-Terroristen, einen verinnerlichten Do-it-yourself-Mullah oder einen depravierten Jugendlichen arabischer Abstammung aus der Vorstadt handelt, macht für ihn keinen großen Unterschied. Für ihn ist da so viel Differenz wie zwischen NSdAP, SA und SS.

Er führt dann bei diesen Gelegenheiten an, wie etwa der durchaus kluge Paul Berman – ein unorthodoxer US-Linker – „dass eine freiheitliche Gesellschaft eine kriegerische Gesellschaft sein müsse, wenn sie herausgefordert“ wird. Diese Rhetorik hat eine große Anziehungskraft auf etwas schlapp gewordene Männer jenseits des Peaks ihrer Schaffenskraft, die sich in der Heldenpose so gut gefallen – die Broders, de Winters und wie sie alle heißen. Der ritualisierten Empörung der Muslime über „westliche Arroganz“ folgt die ritualisierte Empörung der Liberalmilitanten, die dann gerne auch ein bisschen antiislamische Hetze beimischen, damit’s richtig laut wird, sonst macht’s ja keinen Spaß.

Mit der Veröffentlichung der Karikaturen haben die Chefs eines dänischen Blattes bewiesen, wie toll mutig sie sind. Muslime zwischen Kopenhagen, Riad und Gaza haben uns daraufhin wieder einmal vorgeführt, was wir eh schon wissen: dass sie vom Westen gerne Nikes und Coke übernehmen, aber nicht seine Spaßkultur, die alles ironisiert. Und weil sich in Dänemark ein Chefredakteur und ein Ministerpräsident für die Cartoons entschuldigten, ist erneut klar geworden, dass Westler nur feige Weicheier sind, die vor den Feinden der Freiheit in die Knie gehen – so jedenfalls deuten die Liberalmilitanten dies alles.

Man kann diesen konzentrierten Irrsinn einen „Kampf der Kulturen“ nennen. Womöglich ist demonstrative Gelassenheit aber heilsamer. Man kann schließlich auch sagen: Ach Kinder, geht nach draußen spielen.