Eine zweite Chance

ASYL Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, die falsche Angaben zu Alter oder Herkunft gemacht haben, werden nicht länger automatisch abgeschoben. Das ist in Deutschland einmalig

Navid, Ghareebulla, Ahmad und Ali flohen ohne ihre Eltern aus Afghanistan. Als sie in Schleswig-Holstein von der Polizei aufgegriffen wurden, waren sie minderjährig. Sie wurden in einer Wohngemeinschaft in Eutin untergebracht, lernten Deutsch, gingen zur Schule und traten in örtliche Sportvereine ein. Doch eine sichere Perspektive haben sie trotzdem nicht. Wenn sie 18 Jahre alt werden, gilt für sie Erwachsenenrecht. Dann müssen sie nachweisen können, dass sie persönlich verfolgt wurden – sonst droht die Abschiebung.

Oft bleibt Jugendlichen wie ihnen als letzte Hoffnung nur die Härtefallkommission des Landes, die ihre Abschiebung verhindern kann. Dieses Gremium hat nun seine Regeln gelockert: Flüchtlinge, die falsche Angaben gemacht haben, haben jetzt trotzdem eine Chance, als Härtefall bleiben zu dürfen. Schleswig-Holstein geht damit einen Sonderweg. Vorher waren falschen Angaben, wie im Rest von Deutschland, ein Ausschlusskriterium.

Der Vorsitzende der Härtefallkommission, Norbert Scharbach, hält diese Änderung für überfällig: „In jedem anderen Rechtsgebiet, ob bei Steuern oder im Verkehr, kann man sein Vergehen wiedergutmachen, nur im Ausländerrecht hängt eine falsche Aussage ewig an.“ Zeige jemand „tätige Reue“, bekenne also die frühere Lüge – mit der er seine Chancen im Asylverfahren verbessern wollte – könne die Kommission nun trotzdem noch seinen speziellen Härtefall anerkennen.

„Es geht um Familien, die seit Jahren hier leben“, sagt Scharbach. „Wir wollen nicht, dass Kinder aufgrund der Lüge ihrer Eltern mit falscher Identität und ewig unsicherem Status aufwachsen.“ Den Ausschlag für die Änderungen hätten konkrete Fälle gegeben.

Der Härtefallkommission gehören Menschen an, die ehrenamtlich oder hauptberuflich in der Flüchtlingsarbeit tätig sind. Scharbach selbst ist Abteilungsleiter im Innenministerium. Bisher entschied die Kommission bei rund der Hälfte aller besprochenen Fälle positiv.  EST