Zu wenig Ypsilanti

SPD Hannelore Kraft soll in NRW Schwarz-Gelb wegputzen. „Kraftilanti“, ruft die CDU. Von wegen

 Der Termin: Am Freitag und Samstag will Hannelore Kraft Nordrhein-Westfalens SPD in Dortmund auf den Wahlkampf einstimmen. Am 9. Mai will sie im bevölkerungsreichsten Bundesland Schwarz-Gelb ablösen.

■ Die Aussichten: Die Regierungsparteien CDU und FDP haben nach einer jüngsten Forsa-Umfrage keine Mehrheit mehr. CDU: 41 Prozent, FDP: 6 Prozent. Die SPD könnte mit 32 Prozent rechnen, die Grünen liegen bei 11, die Linke bei 5 Prozent. Zuvor hatte Infratest die CDU sogar bei nur 36, die FDP dagegen bei 9 Prozent gesehen (SPD: 32 Prozent; Grüne: 12 Prozent; Linkspartei: 6 Prozent)

VON ANDREAS WYPUTTA

Die Kampagne röhrt. Es gibt die „Kraftilanti“-Postkarte, den „Kraftilanti-Twitter“, ein kleines Video auf YouTube, und neulich hat die nordrhein-westfälische CDU wieder eine Pressemitteilung rausgeschickt. „Kraftilanti allein zu Haus“, hieß es dort. „Kurs auf Rot-Rot“.

Seit Monaten geht das schon so. In der CDU scheinen sie die Abwandlung der alten Kampagne gegen die Hessin Andrea Ypsilanti zu lieben. Das Remake soll Jürgen Rüttgers über die Landtagswahl am 9. Mai hinaus die Macht in Düsseldorf sichern – so wie die Originalversion damals Roland Koch in der Staatskanzlei von Wiesbaden gehalten hat. Doch absurderweise ist der Vergleich sogar mehrfach falsch. Wenn eine SPD-Spitzenfrau wenig mit Andrea Ypsilanti gemeinsam hat, dann ist es Hannelore Kraft. Und vielleicht liegt gerade hier ihr Problem.

Anders als die Hessin ist die Oppositionsführerin im nordrhein-westfälischen Landtag keine Ikone des linken Politspektrums. Während Ypsilanti mit ihren Reden von der „sozialen Moderne“ ihre Genossen mobilisierte, agiert die Diplomökonomin und frühere Unternehmensberaterin eher nüchtern. Zudem hat Kraft aus Ypsilantis Fehler gelernt: Ein Bündnis mit der Linkspartei schließt sie keineswegs kategorisch aus.

„Ich bin gegen Ausschließeritis“, sagt sie stattdessen. Dem NRW-Landesverband der Linkspartei bescheinigt sie zwar, derzeit „nicht regierungsfähig“ zu sein; gleichzeitig wehrt sie sich aber gegen „Koalitionsspielchen am Reißbrett“. Kraft will nichts falsch machen – und wirkt vielleicht deshalb auch knapp drei Monate vor der Landtagswahl seltsam lethargisch, ja unsicher. Sie will den Ypsilanti-Fehler nicht wiederholen, aber gerade diese Vorsicht hindert sie, auch nur annährend die Aufbruchsstimmung zu erzeugen wie die Hessin vor zwei Jahren.

Vorwärts in Dortmund?

Nächste Woche soll es trotzdem vorwärtsgehen. Kraft will ihre SPD auf den Wahlkampf einschwören. In Dortmund verabschiedet ein Landesparteitag das Wahlprogramm und wählt die 48-jährige Politikerin zur Spitzenkandidatin – eine Formsache, denn einen Konkurrenten gibt es nicht. Auch das ist im Übrigen ein Unterschied zu Ypsilanti, die sich erst parteiintern gegen Jürgen Walter durchsetzen musste.

Kraft selbst kennt ihre Grenzen. Vor Vertrauten klage sie schon mal über ihre schlechte Medienpräsenz, ist in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt Düsseldorf zu hören: „Was soll ich nur machen? Ich komm einfach nicht durch“, frage sie dann.

Dabei agiert Kraft oft nicht offensiv genug, vergibt selbst beste Vorlagen: Vom Gewerkschaftslager als einzige Politikerin zur Opel-Betriebsrätekonferenz geladen, war von ihr anschließend nichts Inhaltliches zu hören. Selbst die Vorstellung des Wahlprogramms misslang ihr: Der Entwurf war vorab durchgesickert – nur eine Handvoll Journalisten kam an einem Freitagabend zur hektisch improvisierten Pressekonferenz, um von der Vorsitzenden der größten Oppositionspartei des größten Bundeslandes selbst zu hören, mit welchen Inhalten die SPD Ministerpräsident Rüttgers ablösen will.

Auch an ihm arbeitet sich die Herausforderin eher lustlos ab. Klassisch bildungsbürgerlich will der Christdemokrat die musikalische Erziehung mit der Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ fördern – Kraft fordert einen „Kultur-Rucksack für jedes Kind“. Der Regierungschef positioniert sich gegen die von seinem eigenen Koalitionspartner FDP immer wieder geforderten Steuersenkungen – Kraft muss nachziehen, fordert das für die SPD Selbstverständliche. Und als der Arbeiterführerdarsteller Rüttgers im Januar einmal mehr die Ungerechtigkeit des Hartz-Systems anprangerte, brauchte Kraft eine ganze Woche, um zu reagieren. Dann betont sie, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei richtig gewesen, sichere Hilfe „aus einer Hand“. Dann sagt sie allerdings wieder, dass Hartz „das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen verletzt“.

Der Grund für Krafts Zickzackkurs dürfte in ihrer eigenen Biografie liegen. Die einstige NRW-Ministerin ist selbst ein Produkt der schnelllebigen Reformen, mit denen der damalige – mittlerweile aus der SPD ausgetretene – Ministerpräsident Wolfgang Clement das Land überzog. Nach ihrem Einzug in den Landtag 1994 profilierte sie sich gegen die träge Fraktionsführung – und wurde Europaministerin. Als Clement ins zweite Kabinett Schröder nach Berlin verschwunden war, machte Peer Steinbrück Kraft zur Wissenschaftsministerin, danach führte sie Gebühren für Langzeitstudierende ein.

Während Ypsilanti die „soziale Moderne“ beschwor, agiert die Diplomökonomin Kraft eher nüchtern

Kita und Kohle

Nach vielen Reisen an die Parteibasis aber gibt sich die Mutter eines Sohnes heute geläutert und fordert nicht nur kostenlose Bildung vom Kindergarten bis zur Hochschule. Mit dem „Kohlesockel“ – also der unbefristeten Subventionierung eines Reststeinkohlebergbaus – will sie die Traditionsbataillone der Partei bei Laune halten.

Die Basis hört’s gern. „Gebessert“ habe sich Kraft, findet etwa Rudolf Malzahn. Der Ortsvereinsvorsitzende der SPD im Bochumer Stadtteil Hamme hat Krafts einstigen Förderer Clement mit einem Parteiausschlussverfahren aus der SPD getrieben – und schämt sich ein wenig für Kraft, die in Gesprächen an der Basis erst habe lernen müssen, wie es sei, „mit 1.200 Euro im Monat zu leben“. Regieren müsse die SPD, findet Malzahn, notfalls auch als kleiner Koalitionspartner der CDU. Dabei sind die Erwartungen der Basis an Kraft riesig: Münteferings Rente mit 67 müsse weg, die Hartz-IV-Sätze müssten erhöht werden, fordert nicht nur der Gewerkschafter Malzahn, der seit 46 Jahren in der SPD ist – und droht Kraft sicherheitshalber: „Wenn die so weitermachen will wie Clement und Müntefering, dann kriegt sie Feuer unterm Arsch.“

Wer hätte das jemals von Andrea Ypsilanti befürchtet?