Atomstreit mit dem Iran – agiert der Westen zu lasch?

DIPLOMATIE Der Konflikt um das iranische Atomprogramm verschärft sich. EU und USA setzen sich für schärfere wirtschaftliche Sanktionen ein. Besonders in Israel wird aber auch offen über einen Militäreinsatz diskutiert

JA

Dan Schüftan, 66, ist Direktor des Zentrums für nationale Sicherheitsstudien an der Universität Haifa

Die geplanten Sanktionen, die Russland und China vermutlich umgehen und die auch die Europäer nicht effektiv umsetzen werden, hinken der Zeittafel des iranischen Atomprogramms hinterher. Der Punkt, von dem aus es keine Rückkehr gibt, rückt näher. Bis die Sanktionen greifen würden, wäre es längst zu spät. Was bleibt, sind drastischere, gewaltvollere Schritte. Sollten die westlichen Demokratien gegen solche Maßnahmen entscheiden, wird der Iran unwiderruflich zur Atommacht. Als erster Schritt wäre eine Seeblockade möglich, und sollte das nicht zum gewünschten Ergebnis führen, militärische Aktionen. Ein Atomstaat Iran muss mit allen Mitteln verhindert werden, denn er würde die Welt verändern und gefährlicher machen. Dem Iran würde die Türkei folgen, Ägypten und nach einer Weile auch Syrien und Libyen. Ein multiatomarer Naher Osten stellt eine Bedrohung für die Weltsicherheit dar. Mit der Zeit würden weitere, vielleicht 30 oder gar 40 Atomstaaten weltweit entstehen. An dem Tag, an dem Hugo Chávez in den Besitz einer Atombombe kommt, können wir uns von der Zivilisation verabschieden. Die Welt wird dann zur Geisel von Clowns und Wahnsinnigen.

Saba Farzan, 29, in Teheran geboren und in Deutschland aufgewachsen, lebt als freie Autorin in Berlin

In der Iran-Debatte kommt neuerdings wieder der Evergreen auf, die USA und Israel „müssen von Militärschlägen auf Iran abgehalten werden“. Besonders oft hört man das in Europa. Aber aus dieser bedeutendsten These überhaupt ergibt sich doch zwingend auch der entscheidende Lösungsansatz. Der heißt: Alles an nichtmilitärischen Maßnahmen muss angewendet werden, um eine atomar bewaffnete Militärdiktatur zu verhindern und sich einem nach Freiheit strebenden iranischen Volk nicht in den Weg zu stellen. Diese These erlaubt keine Ausreden für die westliche Welt und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, als dem größten europäischen Handelspartner der Islamischen Republik. Fließt der Ansatz, alle denkbaren nichtmilitärischen Mittel auszuschöpfen, tatsächlich in eine neue Architektur der deutschen Iranpolitik ein, dann würde sie wie folgt aussehen: Die iranische Revolutionsgarde auf die europäische Terrorliste setzen, ein vollständiges wirtschaftliches Embargo der Islamischen Republik errichten, die diplomatischen Beziehungen auf ein Minimum einschränken und die massiven Menschenrechtsverletzungen im Iran schonungslos anprangern. Der Zug für einen Dialog ist längst abgefahren. Die Iraner brauchen entschlossene Unterstützung. Das ist nicht Idealismus, sondern eine neue Form von Realpolitik. Es ist Zeit, sie endlich anzugehen.

Aaron König, 45, ist Blogger ( www.politicool.de ) und Bundesvorstand der Piratenpartei

Das iranische Regime hat seit 1979 das erklärte Ziel, Israel zu vernichten. Jetzt steht es kurz davor, dieses Ziel durch Mittelstreckenraketen und Nuklearwaffen tatsächlich erreichen zu können. Es ist offensichtlich, dass die iranische Regierung den Bau von Atombomben anstrebt. Wer den Lügen des Holocaustleugners Ahmadinedschad glaubt, muss sehr naiv sein. Das Regime in Teheran hat schon oft genug bewiesen, wie fanatisch und rücksichtslos es sein kann. Die Demokratien des Westens dürfen nicht den gleichen Fehler begehen wie 1938, als die nett gemeinte „Appeasement“-Politik Chamberlains Hitler erst zu seinen Angriffskriegen ermutigt hat. Um einen Krieg im Nahen Osten zu verhindern, sollten alle Mittel eingesetzt werden – von drastischen Wirtschaftssanktionen bis hin zur gezielten Zerstörung des iranischen Nuklearpotenzials. Ich denke nicht, dass solche Schritte die Oppositionsbewegung schwächen würden. Im Gegenteil, wenn wir dem iranischen Terrorregime seine Grenzen zeigen, würde dies der Opposition sogar Aufwind geben. Die Menschen im Iran, die für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen und dafür ihr Leben riskieren, brauchen dringend unsere Unterstützung.

NEIN

Kerstin Müller, 46, ist außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne

Die Ankündigung Teherans, Uran weiterhin selbst anzureichern, ist ein weiterer Schritt der Eskalation im Streit um das Nuklearprogramm. Denn damit wird das Angebot der internationalen Gemeinschaft, Uran im Ausland anzureichern, brüsk zurückgewiesen. Eine neue Runde von Sanktionen im UN-Sicherheitsrat ist nun unvermeidlich – der Iran kann nicht unbegrenzt Katz und Maus spielen. Allerdings müssen gezielte Sanktionen ins Auge gefasst werden, die das Regime treffen – etwa das Einfrieren von Konten von Regimemitgliedern – und nicht die vielen Menschen, die bei ihrem Eintreten für die Demokratie unsere Unterstützung brauchen. Sanktionen sind auch nur dann wirkungsvoll, wenn alle an Bord sind – auch Russland und China. Eine Koalition der Willigen in der Iranfrage schwächt nur die internationale Gemeinschaft. Auch die militärische Option liegt auf keinen Fall auf dem Tisch. Ein zweiter Krieg in der Region hätte eine verheerende destabilisierende Wirkung. Ein solches Säbelrasseln nutzt nur dem Regime und schwächt die Demokratiebewegung.

Naika Foroutan, 38, Tochter deutsch-iranischer Eltern, ist Politologin an der Humboldt-Universität in Berlin

Der Westen kann gar nicht mehr tun. Sanktionen sind schließlich keine Einbahnstraße, auch die Handelspartner Irans wären betroffen. Dazu kommt, dass womöglich andere in die Lücke einspringen, etwa Indien. Im Übrigen: Eine militärische Option gibt es nicht – die USA sind in Afghanistan und Irak gebunden. Außerdem sind die Anlagen im Iran zu gut versteckt, zu verstreut oder in Wohngebieten. Was man aber machen könnte, wären Sanktionen gegen konkrete gesellschaftliche Gruppen im Iran, zum Beispiel die iranischen Paramilitärs der Pasdaran. Die sind dabei, sich zur größten Wirtschaftsmacht zu entwickeln. Sie sind verantwortlich dafür, dass sich der Iran tatsächlich zur Militärdiktatur verwandelt. Ihre Konten im Ausland zu sperren, ihre Reisen zu unterbinden, könnte Druck machen, ohne vor allem die Bevölkerung zu treffen.

Jan van Aken, 48, Ex-UN-Biowaffeninspekteur, ist Vizevorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag

Der Westen agiert nicht lasch, sondern unangemessen. Jedes Verhandlungsangebot des Irans, jedes mögliche Einlenken wird reflexhaft als ungenügend zurückgewiesen und mit einer neuerlichen Verschärfung pariert – bis hin zur Androhung eines militärischen Angriffs. Eine nachhaltige Lösung des „Atomstreits“ kann jedoch nur auf dem Weg der Verhandlungen erreicht werden – die Mittel der Diplomatie sind noch lange nicht ausgeschöpft, darauf hat der Grandsigneur der atomaren Abrüstung, Hans Blix, erst diese Woche wieder hingewiesen. Deutschland könnte hier eine vermittelnde Rolle einnehmen. Anstatt den USA und Israel bei der Eskalation hinterherzulaufen, sollte die Bundesregierung Initiativen entwickeln, die die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags und Abrüstungsschritte aller Seiten beinhalten – mit dem Ziel eines atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Ostens.

Der taz.de-User unter dem Namen „Moritz“ hat seinen Beitrag auf taz.de/sonntazstreit eingestellt

Wie kann es sein, dass Israel eine Atombombe besitzt, dass die USA Atombomben besitzen, aber dem Iran soll es verboten werden? Atombomben werden ohnehin nicht eingesetzt, da das angegriffene Land auf Jahrzehnte nicht genutzt werden kann und der Gegenangriff den Aggressor ausradieren würde. Atombomben dienen allenfalls als Argumentationsverstärker. So droht Israel regelmäßig seinen jeweiligen Feinden mit der Stärke der israelischen Atomtechnik. Eine iranische Atombombe würde die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten wieder in die Waage bringen. Die beste Lösung wäre freilich, wenn es weltweit überhaupt keine Atombomben mehr gäbe.