PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Beim Barte des Propheten

Wenn mein Muezzin vom Nachttisch ruft, sollte das Schlafzimmerfenster besser geschlossen bleiben

Wenn der Muezzin vom Nachttisch ruft, ist es meist sechs Uhr fünfzehn. Manchmal stelle ich den Wecker aber auch etwas früher, dann schnarrt er sein „Allah Akbar la ilaha illa-llah“ auch manchmal schon um fünf. Den Wecker in Form einer Moschee habe ich von einer Reise aus einem arabischen Land mitgebracht, es gibt ihn aber auch hierzulande in den Farben lindgrün bis himmelblau in türkischen Läden in Bahnhofsnähe.

Er kostete umgerechnet 2 Euro, und trotzdem geht die Uhr sehr pünktlich. Vor allem meinem Sohn macht der Wecker große Freude, besonders seit ich ihm in einer etwas freien Übersetzung des Weckrufs sagte: Der Muezzin ruft: „Als Allah nackt war, kam mein Nachbar aus der Nachtbar.“ Seither rufen wir diesen Satz morgens oft zusammen, im Bett, begleitet vom Gekrächze aus dem Wecker, und starten auf diese Weise froh und vergnügt in den neuen Tag.

Bis vorgestern.

Gegenüber wohnen Muslime, und das Schlafzimmerfenster steht bei uns auch im Winter immer offen. Nicht auszudenken, wenn sie uns hören würden. Oder vielleicht schon gehört haben? Sie könnten es einem Ägypter erzählen, der es wiederum den Muslimbrüdern und die der muslimischen Weltgemeinschaft … in Kirchentellinsfurt wäre es jedenfalls vorbei mit der Beschaulichkeit. Unser Dorf würde bedroht, der letzte noch verbliebene Naturkostladen würde von allen muslimischen Ländern boykottiert und unser Bürgermeister müsste sich meinetwegen entschuldigen, mindestens, und es wäre nicht sicher, ob man die Entschuldigung in Riad akzeptieren würde.

Es würde wahrscheinlich auch nichts helfen, wenn ich beim Barte des Propheten schwören würde, dass ich häufig Jesus-Witze erzähle, die im Übrigen meist von meiner sehr katholischen Schwiegermutter stammen. Ich versuche mir derzeit vorzustellen, was in Polen oder auf Sizilien los wäre, hätte die Tageszeitung Gulf News aus Dubai eine Karikatur abgedruckt, in der Jesus einen Esel vögelt. Oder eine Katze quält. Oder ein Kind tötet. Als Christen getaufte Menschen tun ja bisweilen solche Dinge, man liest davon in der Zeitung, unter „Blick in die Welt“. Wenngleich geschmacklos, so wäre es doch durchaus eine Pointe, den Gottessohn damit in Verbindung zu bringen.

In Polen würden sie vor Wut in die schwarze Madonna beißen, die jeder anständige Bürger dort auf dem Küchenbuffet stehen hat, und in Sizilien würde der Dorfpfarrer den örtlichen Mafiachef bitten, einen Muslim auf offener Straße zu liquidieren, nicht ohne ihm vorher noch zum Zeichen der Verachtung die Nasenflügel aufzuschneiden. Es ist eben immer gut, wenn man klare Vorstellungen hat von der Welt und ihren Ländern und ihren Bewohnern und darüber, welche Religion besser ist als die andere.

Wenn also der menschliche Verstand in Form einer Karikatur die religiösen Gefühle verletzen kann, ist dann nicht im Umkehrschluss jede Religion schon eine Verletzung des menschlichen Verstandes? Darüber spricht nie jemand. Das sind aber Fragen, die ich mir stelle, während ich dänische Butterkekse kaue und abgehackte Hände von Karikaturisten an meinem inneren Auge vorüberfallen.

Was ein religiöses Gefühl ist, muss noch geklärt werden. Ich vermute mal: Da die Existenz von Allah, Gott & Co. KG noch immer nicht bewiesen ist, fühlt der Gläubige sie nur. Er weiß es nicht genau, glaubt aber fest daran. Manche sprechen daher auch von „Glaubensgewissheit“, eines meiner Lieblingswörter aus dem Lexikon der Widersprüchlichkeiten. Es gehört in dieselbe Kategorie wie Bundesbahnpünktlichkeit oder Massenindividualität oder Schwarzeneggergnade.

Zurück zum Muezzin und dem Wecker.

Ich habe, was ich selten tue, heute Morgen meinem Sohn etwas streng verboten: Er dürfe auf keinen Fall das Gedicht, das wir heute Morgen nach dem Weckruf im Bett noch dichteten, laut in der Schule herumerzählen: „Allah ist groß, Allah ist mächtig/ und mit ’ner Mütze ein Meter sechzig.“

Er musste es mir schwören. Beim Barte des Propheten.

Fragen zu Allah? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany über GONZO