: Daddeln und daddeln lassen
Das Online-Rollenspiel World of Warcraft ist inzwischen das meistverkaufte Spiel Europas und bei Gamern heute beliebter als reine Kampfspiele wie Counterstrike. Gekämpft wird hier auch – doch wer zu faul ist, mühsam das Gold für Waffen und Ausrüstung zu beschaffen, kauft es sich einfach bei Ebay
VON DIETER GRÖNLING
Warnung: Wenn Sie nicht wissen, was ein „Online-Rollenspiel“ ist, werden Sie von den folgenden Absätzen kein Wort verstehen. Bitte lesen Sie erst den erläuternden Kasten auf dieser Seite.
Das Angebot bei Ebay scheint verlockend: 1.000 Gold für nur knapp 90 Euro. Wie lange muss man daddeln, um bei World of Warcraft 1.000 Gold zu sammeln? Das kostet Tage, Nächte, Wochen. Zeit, die anderweitig sinnvoller genutzt werden kann. Etwa bei einem ordentlichen Zweikampf Player versus Player (PvP) – oder sich besser gleich mit den Jungs von der eigenen Gilde aufs Schlachtfeld stürzen und neues Terrain erobern. Aber genau dafür braucht’s das ganze Gold. Ausrüstung und Waffen sind teuer, und wer ohne Rüstung in die Schlacht zieht, hat keine Chance.
Für jemand, der nach Feierabend schnell noch ein paar Runden spielen will, mag sich deshalb der Kauf von Ebay-Gold lohnen – bei dem Multiplayer-Online-Rollenspiel ist der Gold-Transfer nach erfolgter Bezahlung in ein paar Sekunden erledigt, die bei anderen Auktionen nötige Zeit für den Versand entfällt. Aber Gold ist längst nicht alles: Auch „Power Leveling Service“ wird angeboten. Um einen höheren Spiel-Level zu erreichen, gibt es den Levelservice von gleich mehreren Anbietern zu höchst unterschiedlichen Preisen. „Ununterbrochen arbeiten unsere professionellen Spieler in Schichtarbeit“, verspricht ein Anbieter. Dabei soll es keine Roboter-Programme und auch keine sonstigen unerlaubten Methoden geben. Daddeln lassen statt selber daddeln? Wo bleibt da der Spaß?
Ganz einfach: Bei World of Warcraft fängt’s erst bei Level 60 an, so richtig lustig zu werden. Fast alle Türen stehen offen, und Gegner sowie Mitspieler zeigen Respekt. Dass Level und Goldvorräte erkauft und nicht erspielt wurden, weiß ja niemand – da gibt es durchaus Parallelen zum echten Leben. Und die „professionellen Spieler in Schichtarbeit“ sind keineswegs gehartzte Arbeitslose, sondern flinke Jungs in China, die für kleines Geld Level, Gold und anderes für ihre deutschen Auftraggeber zusammenklicken. Die Ebay-Händler haben die Vorzüge des modernen „Offshoring“ schnell begriffen – bei deutschen Spielern, Jägern und Sammlern würde der Goldpreis stark ansteigen.
Anders als der Vorgänger Warcraft, der ähnlich wie die „Siedler“ ein reines Aufbau- und Strategiespiel war, ist das Anfang 2005 hierzulande erschienene Spiel World of Warcraft ein Online-Rollenspiel. Nach Angaben des Herstellers Blizzard Entertainment ist es inzwischen mit mehr als einer Million zahlender Abonnenten das meistverkaufte Spiel Europas und wird zu jedem Zeitpunkt von mehreren tausend Spielern gleichzeitig über das Internet gespielt. Gemeinsam oder gegeneinander – das hängt ganz davon ab, für welche Fraktion sich der Spieler am Anfang entscheidet, und von vielem mehr. Die eigene Spielfigur kann weitgehend nach eigenen Vorstellungen entworfen und ausgerüstet werden. Auch das hängt von der gewählten Fraktion ab. Menschen, Nachtelfen, Zwerge und Gnome gibt es bei der „Allianz“, Orcs, Tauren, Untote und Trolle bei der „Horde“. Jeder Spieler legt sich auch auf eine der neun Klassen Druide, Jäger, Magier, Paladin, Priester, Schurke, Schamane, Hexenmeister und Krieger fest, wodurch Kombinationen wie Nachtelf-Druide oder Orc-Krieger als Charaktertyp entstehen. Einmal im Leben ein untoter Schurke sein – und dann Weltboss anstelle des Weltbosses werden.
Die Warcraft-Welt Azeroth besteht aus den beiden Kontinenten „Kalimdor“ und „Östliche Königreiche“ mit einer Vielzahl von Städten, Dörfern, unterschiedlichen Landschaften und geheimen Höhlen und Gemäuern, den Dungeons. Um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, werden Flugtiere, Zeppeline und Boote genutzt. Eine U-Bahn verbindet die Hauptstadt der Menschen und die der Zwerge. Um sich zurechtzufinden, kann man aus einer Vielzahl von so genannten Quests (Missionen) auswählen. Die bringen Erfahrungspunkte, Ausrüstungsgegenstände und andere wertvolle Sachen, so genannte Items.
Doch bevor es losgehen kann, muss erst einmal ein geeigneter Server ausgewählt werden. Die heißen Realm, und es gibt amerikanische, asiatische und europäische Realm-Cluster in den entsprechenden Landessprachen. Wegen des massiven Ansturms und damit verbundener Zugangs-Probleme wurden im Januar einige der deutschen Realms in ein anderes Datenzentrum nach Frankfurt am Main verlegt. Inzwischen soll alles wieder funktionieren. Es gibt unterschiedliche Realm-Typen, ganz nach individueller Veranlagung der Spieler: PvE-Server (Player versus Environment), die etwas schwierigen PvP-Server (Player versus Player), bei denen man von der gegnerischen Fraktion bei Quests gestört werden kann. Hier haben Einzelgänger keine Chance, und das Bilden von Gruppen steht klar im Vordergrund. Anders als bei den Kampfspielen ist das Ziel auch nicht das Töten des Gegners, sondern eher gegenseitiges Kräftemessen – etwa um neue Waffen auszuprobieren. Nur die besonders am Anfang des Spiels häufig auftauchenden Monster müssen getötet werden – aber das sind auch keine Mitspieler in Monstergestalt, sondern vom Computer generierte Gegner.
Weicheier und Freunde des reinen Rollenspiels bevorzugen die RP-Server (Role Playing). Hier geht’s nicht primär ums Kämpfen, dafür achten aufmerksame Gamemaster auf Fairplay, stilgerechte Namensgebung und anständige Umgangssprache. Jeder Spieler hat seine individuelle Hintergrundgeschichte, einen Beruf und bestimmte Eigenheiten. Das soll zu einem intensiveren Spielerlebnis verhelfen. Gekämpft werden darf dennoch, dafür gibt’s RP-Server sowohl mit PvE-Regeln und neuerdings auch mit PvP-Regeln. Um die Verteidigung gegen Angreifer zu organisieren, Handel zu treiben oder sonst wie zu kommunizieren, können sich die Spieler mit anderen Spielern ihrer Fraktion über Chat-Kanäle unterhalten. Es gibt auch eine Post mit Briefkästen in den Gasthäusern der Städte, darüber lassen sich Nachrichten sowie Geld oder andere Dinge verschicken.
All das ist nicht gratis zu haben. Die Herstellerfirma Blizzard Entertainment, die zum Vivendi-Konzern gehört, will reales Geld verdienen und muss auch die weltweiten Server betreiben. Neben den Kosten für das Spiel (40–45 Euro für Windows oder Mac OS X) fallen noch monatliche Gebühren für die Nutzung der Spielserver an. Der erste Monat ist frei, danach kostet das Abo je nach Laufzeit zwischen 10,99 und 12,99 Euro pro Monat. Im Handel sind auch Prepaid-Karten für 26,99 Euro erhältlich, damit kann 60 Tage gespielt werden. Da sich das Spiel nach der Installation komplett auf dem heimischen Rechner befindet, müssen keine großen Grafikdaten, sondern nur Parameter zu Gegnern und Mitspielern etc. online übertragen werden. Da reicht eine Modemverbindung, DSL ist nicht unbedingt erforderlich. Trotzdem ist es nicht möglich, allein und ohne Onlineverbindung gegen Computergegner zu spielen. Auf Dauer geht das natürlich ins Geld, junge Spieler mit knappem Geldbeutel bevorzugen deshalb Spiele wie Guild Wars. Die sind vielleicht nicht ganz so komplex, dafür wird die Nutzung der Server nicht extra berechnet.
Nicht zuletzt durch unqualifiziertes Medien- und Politikergeschrei, nach dem das Massaker von Erfurt durch das Kampfspiel Counterstrike ausgelöst worden sein soll, hat auch World of Warcraft nach gängiger, aber heftig umstrittener Meinung ein gewisses Suchtpotenzial mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen. Dabei ist das Spiel vergleichsweise harmlos. Jüngst hat die Volksrepublik China die Spielzeit gesetzlich auf drei Stunden begrenzt. Danach gibt’s deutlich weniger Gold, Items und Erfahrungspunkte. Erst nach fünf Stunden, in denen der Spieler nicht eingeloggt sein darf, kann normal weitergespielt werden.
Wie chinesische Profis das ganze Gold für die deutschen Ebay-Händler zusammendaddeln, ist angesichts dieser Situation rätselhaft. Sind die wirklich so schnell?
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