BUNDESVERFASSUNGSGERICHT: RICHTERWAHL BRAUCHT TRANSPARENZ
: Immer mehr Konformismus

Die Auseinandersetzungen zwischen CDU und FDP um die Nachfolge des Richters Dieter Hönig beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) werfen ein grelles Licht auf das ganze Verfahren der Richterwahl. Ursprünglich hatte der Gesetzgeber eine Reihe von Hürden errichtet, um eine einseitige politische Ausrichtung des BVerfG zu verhindern – unter anderem die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Kandidaten, die jeweils zur Hälfte von Bundesrat und Bundestag zu wählen waren. In der Praxis hat sich erwiesen, dass dieser Zwang zum Konsens der beiden großen Parteien zu einem Proporzsystem, zu Paketgeschäften, zur Bildung parteipolitischer Erbhöfe geführt hat. Die Wahl parteipolitisch ungebundener Richter aus anderen Bundesgerichten hat an dieser Tendenz nichts geändert.

Kleine Parteien konnten und können nur Wahlvorschläge machen, wenn ihnen das Vorschlagsrecht von den beiden Großparteien abgetreten wird. In der großen Koalition wird mit dieser Übung Schluss gemacht. Hierdurch wird sich bei der Richterwahl die Drift zum Konformismus noch verstärken. Absprachen werden künftig geräuschlos über die Bühne gehen.

Der faktische Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Kandidatenauswahl, bei der Diskussion über deren Eignung bezeichnet den Krebsschaden des ganzen Verfahrens. Die Beratungen des Bundestags-Wahlausschusses sind von Gesetz wegen geheim. Die Ausschussmitglieder sind nicht rückrufbar und unterliegen keinen Weisungen ihrer Fraktion. In dem zwölfköpfigen Gremium und nicht etwa im Plenum des Bundestages fällt auch die Entscheidung (wenigsten im Bundesrat wird über „seine“ Kandidaten plenar abgestimmt).

Im System der Gewaltenteilung soll die Judikative unabhängig funktionieren, aber auch sie bedarf der demokratischen Legitimation. Das trifft verstärkt auf das Verfassungsgericht mit seinen tief eingreifenden Befugnissen zu. Transparenz bei der Richterwahl, wie sie in den USA durch Senat und Öffentlichkeit praktiziert werden, könnten bei uns eine Reform beflügeln. Aber Reformeifer ist gerader hier nicht angesagt. CHRISTIAN SEMLER