IM KREUZBERGER BI NUU WIRD’S REALISTISCH, ALS CELO & ABDI ZUM RAP ANTRETEN: Linksextrem, rechtsextrem, extrem brutal und extrem viele Badelatschen
VON JURI STERNBURG
Ich hatte mich seit Wochen extrem auf dieses Konzert gefreut. Nicht nur dass Celo & Abdi als Zöglinge des momentan einfallsreichsten Rappers Haftbefehl gelten, welcher seit Monaten durch die Feuilletons der Republik getrieben wird wie die Sau durchs Dorf beziehungsweise eine kurdische Ziege durch Schweinfurt. Zudem haben sie mit „Parallelen“ auch noch einen Klassiker hingelegt, meiner Meinung nach der wahrscheinlich beste Rapsong der letzten zehn Jahre. Es lohnt sich, an dieser Stelle den Artikel respektive das iPad beiseitezulegen und auf YouTube den Song zu suchen. Dann muss ich Ihnen nicht erklären, was all die studierten Musikanalysierer von FAZ bis Spiegel Online bereits getan haben.
Dort fielen Sätze wie: „Türkisch, Arabisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, alles wird verwurstet und haftiisiert, das heißt in den Mahlstrom einer genial nuschelnden Abkürzungsrhetorik eingespeist.“ Oder: „Irgendwann muss er begriffen haben, dass es besser ist, über Verbrechen zu singen, als sie zu begehen.“ An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den einen oder anderen Kollegen, dass er lieber über Rapmusik schreibt, als sie selbst zu produzieren, so bleibt uns einiges erspart.
Und auch wenn einige dieser Artikel Wahres verkündeten und durchaus Fanboy-Charakter hatten (ich schließe mich da keinesfalls aus), halte ich es doch eher wie Felix Krull, ursprünglich eine Romanfigur von Thomas Mann, für die jüngere Generation jedoch einer der wenigen erträglichen Sprechgesangskünstler aus München: „Jetzt halt mal die Fresse, Alter, und zieh dir den Sound rein!“
Das tun wir im Kreuzberger Bi Nuu. Der Saal ist nicht komplett gefüllt, ein Großteil bleibt lieber in den hinteren Ecken stehen und begutachtet das Geschehen skeptisch aus der Ferne. Dem ein oder anderen meiner Bekannten ist Celo & Abdis Musik zu „extrem“, und auch einige der Anwesenden kneifen die Lippen angestrengt zusammen und schauen pikiert. Aber was heißt schon extrem? Extrem ist heutzutage alles, was nicht auf dem Sommerfest des Bundespräsidenten stattfinden könnte, die Palette ist unendlich: linksextrem, rechtsextrem, extreme Wetterphänomene, extreme Islamisten, extreme Mietpreise in den Städten, extreme Kluft zwischen Arm und Reich, extreme Gewalt in der U-Bahn, extreme Lügen von Politikern, extreme Gewinne auf den Finanzmärkten, extremer Hunger in der Dritten Welt, extrem, extrem, extrem.
Womit wir quasi die Hälfte der Themen des hier bereits erwähnten Songs „Parallelen“ abgehandelt hätten. Aber bleiben wir beim Thema: Das Wörtchen „extrem“ wird so extrem gerne benutzt, wenn es darum geht, Zustände oder Ereignisse zu beschreiben, die so weit von dem abgerückt scheinen, was wir als „normal“ definieren; dass ein paar Jungs aus Frankfurt und Offenbach mit Texten wie „Al-Fatiha für die toten Brüder / parallel dazu, regieren oben Lügner / Führer, die blenden, ich krieg Sonnenbrand / parallel dazu bombt die IRA Scotland Yard“ bereits als äußerst kontrovers eingestuft werden. Wäre ja langweilig, wenn man akzeptieren würde, dass all diese „extremen“ Phänomene längst Alltag und Realität geworden sind.
Sie merken schon, ich habe heute einfach keine Lust, über Rapkonzerte und Konfetti zu schreiben. Dafür ist mir im Moment alles zu extrem. Extrem viel Wasser zum Beispiel. Und extrem viel Polizeibrutalität, hüben wie drüben. Aber auch extrem viel Eiscreme, Kartoffeln und Badelatschen. Am Ende haben Celo & Abdi uns extrem lange warten lassen, dafür aber auch einen extrem unterhaltsamen und extrem professionellen Auftritt hingelegt.
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