Klimaschutz in Nadelstreifen

Umweltschützer geißelten den Emissionshandel lange als Ablasshandel für die Industrie. Jetzt zeigt er erste Erfolge. Ein Einblick in ein luftiges Metier

Man einigt sich auf den Preis: 22,80 Euro. 10.000 Tonnen Luft wechseln den Besitzer„Wir brauchen eine Lösung des Klima-Problems. Mit Hilfe des Marktes geht dies“

AUS LONDON MICHAEL STRECK

Benedikt von Butler handelt mit Luft. Genauer, mit dem Recht, sie aufzuheizen. Dieses Emissionsrecht ist eine ziemlich abstrakte Angelegenheit, und dennoch derzeit das ungewöhnlichste Produkt auf dem internationalen Finanzparkett. Und vielleicht die schärfste Waffe gegen den Klimawandel.

Von Butler sitzt vor vier Bildschirmen. In weißem Hemd, mit schmaler Brille und verschmitztem Blick. Er ist Broker für CO2e.com, eine Firma, die auf Emissionshandel spezialisiert ist und Unternehmen zusammen bringt, die Kohlendioxidrechte entweder verkaufen oder kaufen wollen. Auf dem Tisch steht ein Schaltpult, wie in einem Tonstudio mit dutzenden Knöpfen und einem Mikrofon – eine Standleitung zu Kollegen und Händlern. Mit seinem Blackberry, einem Kultgerät unter Börsianern, kann von Butler e-mailen und telefonieren, dennoch liegt auch ein Mobiltelefon noch daneben. Eine Nachbarin spricht Italienisch, von woanders dringt Spanisch und Französisch herüber. Um ihn herum in der hektischen Großraumetage flackern Zahlenreihen und Diagramme über unzählige Monitore. Auf einem großen TV-Plasmaschirm läuft Golf, und der sattgrüne Rasen strahlt etwas Beruhigendes aus.

An diesem grauen Januarmorgen kostet eine Tonne CO2 etwa 23 Euro. Die Zahl blinkt auf einem Bildschirm. Dann kommt die Nachricht, dass jemand 10.000 Tonnen CO2 kaufen will. Wenig später einigen sich Anbieter und Nachfrager auf den Preis von 22,80 Euro. 10.000 Tonnen heiße Luft wechseln den Besitzer. Wie viel Provision er bei diesem Geschäft erhalten hat, sagt von Butler natürlich nicht. Der Handel zwischen einer englischen Bank und einem spanischen Energieversorger hat kaum zehn Minuten gedauert. Es war ein so genannter Spot. Das heißt, der Käufer erhält innerhalb von zwei Tagen seine Emissionsberechtigungsscheine. Jedes einzelne Papier erlaubt, eine Tonne Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen. „Die Idee des Emissionshandels ist“, sagt der 34-Jährige, „dort die Umwelt zu schonen, wo es am billigsten ist.“

Zwischen 10 und 25 solcher Abschlüsse brokert er täglich. Das Geschäft hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab, sagt er. Erstens, von der Politik. Wie EU-Mitgliedsländer zum Beispiel die Einsparziele aus dem Kioto- Protokoll erreichen wollen. Häufig reicht schon die Ankündigung einer Maßnahme aus, dass die Preise schwanken. Zweitens vom Wetter. Regnet es lange nicht in Spanien, das viel Wasserkraft nutzt, wird dort auf fossile Energieträger zurückgegriffen. Dann klettert der Emissionspreis. Und drittens von Veränderungen bei Gas- und Kohlepreisen. Steigt Gas, verfeuern Stromerzeuger mehr Kohle, dann werden Emissionsrechte teurer. „Alles ziemlich komplex.“

Viele Geschäfte werden über den Computerhandel abgewickelt, eine elektronische Börse (siehe Infokasten). Daneben verhandelt von Butler auch direkte Abschlüsse, die nicht über die Börse laufen. Dies erlaubt Firmen, diskreter zu agieren, wenn sie ihre Strategien nicht preisgeben wollen. Es ermöglichst ein Ausprobieren in einem noch jungen Markt, in dem sich viele unerfahrene Unternehmen tummeln. Und es lässt maßgeschneiderte Lösungen zu.

Broker wie von Butler sind da Händler und Berater in einem. „Wir sind die Bienen, die überall herumfliegen, Informationen sammeln und weitertragen.“ Die wichtigste Eigenschaften eines Brokers? „Leute gut lesen zu können“, sagt er. Man müsse Gespür für ihre Strategien haben. Und natürlich permanent netzwerken. „Namen, Namen, Namen“ sind das Mantra des Geschäfts.

Seit über zwei Jahren arbeitet von Butler in London. Denn die Stadt an der Themse ist die Drehscheibe des internationalen Emissionshandels. Fast jedes Unternehmen, das beim derzeit wohl weltweit größten umweltpolitischen Experiment mitmischen will, hat Klima- und Finanzexperten vor Ort.

Vorher lebte der Deutsche, der einst russische Geschichte studierte, in New York, wo er sich für Klimaschutz und Emissionshandel zu interessieren begann und von einer Firma als Spezialist für das Kioto-Protokoll angeheuert wurde. Damals habe es nur drei Brokerhäuser gegeben, die sich im Emissionshandel auskannten. Anfangs, als herkömmliche Händler Leute wie ihn noch als Freaks ansahen, sei es notwendig gewesen, mit den politischen Zusammenhängen vertraut zu sein. Schließlich handelt es sich um einen politisch gewollten und konstruierten Markt.

Mittlerweile ist der europäische Handel so weit entwickelt und standardisiert, dass sich auch die traditionellen Händler ohne jedes Spezialwissen in ihm bewegen könnten. Von Butler jedoch ist Holist, einer, der Klimaschutz als Ganzes im Blick hat und nicht nur rein markttechnisch operiert. „Den Kern der Sache verstehen nur noch die wenigsten“, meint er stolz.

Eine altgediente Klimaschutzexpertin ist Eva Karra zwar nicht, dafür Finanzfachfrau. Sie handelt Emissionsrechte für die holländische Bank ABN-Amro. Auch sie sitzt vor vielen Knöpfen und Monitoren in einem Glashochhaus im Londoner Bankenviertel. Banken seien in dem neuen Markt so wichtig, da sie Risiken minimieren helfen. „Ein entscheidender Faktor“, sagt sie.

Karra, eine wortgewaltige junge Griechin, die beim Reden viel gestikuliert, berät auch Firmen, die in den Emissionshandel einsteigen wollen. Der Beratungsbedarf sei groß, da viele Unternehmen ihn weiterhin eher als Problem denn Chance begreifen würden und sich abwartend verhielten. Das liegt auch daran, dass manche Rahmenbedingungen weiterhin offen sind. So feilschen EU-Politiker derzeit darüber, wie viel Emissionsrechte ab 2008 vergeben werden, wenn die erste Handelsperiode, die 2005 startete, ausläuft. Klimaschützer fordern, das Angebot deutlich zu verknappen, um die Industrie so über den steigenden Emissionspreis zu weiteren Einsparungen zu zwingen. In Deutschland etwa konnte die mächtige Energielobby bislang wirksame Reduktionsziele verhindern.

An Klimaschutz geht Karra wenig emotional heran. Die 29-Jährige ist ausgebildete Mathematikerin und arbeitete lange in der Finanzabteilung eines Stromversorgers. Klimawandel sei ein drängendes Problem, sagt sie, und der Mensch dafür verantwortlich. „Also müssen wir Lösungen finden. Und mit Hilfe des Marktes geht dies am effektivsten.“ Kapitalismus und Umweltschutz seien vereinbar, glaubt sie.

Ein Jahr ist das Europäische Emissionshandelssystem nun in Kraft. Nach ihrer Einschätzung greift die Idee des privatwirtschaftlichen Klimaschutzes immer mehr um sich. Je länger der Markt existiert, desto selbsterhaltender wird er. Eine wachsende Zahl von Unternehmen handele nach dem Motto: Ich spiele mal mit, vielleicht lässt sich ja Geld verdienen, schaden kann es nicht. Zumal es sich bei den Erlaubnisscheinen um ein einzigartiges Produkt handelt, das, einmal erworben, keine Kosten verursacht wie Öl oder Gas und einfach „gelagert“ werden kann.

Für all jene Unternehmen, die unter die rechtlich bindenden Vorgaben des EU-Emissionshandels fallen, ist es jedoch kein Spiel sondern bitterer Ernst. Zum Beispiel bei Shell. „Wir müssen unsere Verpflichtungen einhalten, sonst drohen Strafen“, sagt Garth Edwards. Der gut gebräunte und sportliche Mann mit dem blonden Bürstenhaarschnitt ist bei dem Energieriesen „Händler für Umweltprodukte“. Er rechnet vor: Werden die Emissionsgrenzen bist 2008 nicht eingehalten, müssen pro Tonne CO2 40 Euro Strafe gezahlt werden, danach sogar 100 Euro. Aktuell kostet eine Tonne CO2 23 Euro. „Das ist in jedem Fall viel billiger.“

Edwards, der im mondänen Handelshaus des Konzerns am Themse-Ufer residiert, muss sicherstellen, dass Shell ausreichend Emissionen reduziert. Zahlen, wie viele Emissionsrechte dazu erworben werden müssen, darf er keine nennen. Unternehmensgeheimnis. Nur so viel verkündet er: „Wir werden die rechtlich bindenden Vorgaben einhalten.“ Dass Emissionshandel erfolgreich ist, sagt der Schotte im feinen Zwirn, zeigten die 90er-Jahre in den USA, wo ein vergleichbarer Mechanismus, allerdings auf nationaler Ebene, den Ausstoß von Schwefeldioxid drastisch senkte. Er selbst ging nach Jahren beim UN-Umweltprogramm an die Wall Street, um mit Emissionen zu handeln, bevor er zu Shell wechselte.

Natürlich ist der europäische Emissionshandel ungleich komplizierter. Was ihn so verwirrend macht, sind seine unterschiedlichen Ebenen, erklärt Edwards. Zunächst gibt es den Handel über das EU-System, ganz klassisch, mit Käufer und Verkäufer. Dieser Markt existiert unabhängig vom Kioto-Prozess, wurde jedoch von ihm initiiert und gilt im Falle Shells auch nur für dessen europaweite Industrieanlagen. „Selbst wenn das Kioto-Protokoll nach 2012 nicht verlängert wird, wird es das Emissionshandelssystem der EU weiter geben.“ Parallel dazu können Firmen aus Industriestaaten Emissionsrechte über den „Clean Development Mechanism“ erwerben. Dieser wird unter dem Kioto-Protokoll verwaltet und erlaubt emissionsmindernde Projekte in Entwicklungs- oder Schwellenländern umzusetzen. Shell wird sich an einem Mülldeponieprojekt in Brasilien beteiligen, bei dem das entweichende klimaschädigende Methangas aufgefangen und zur Stromgewinnung genutzt wird. Die dort eingesparten Emissionen kann sich Shell gutschreiben lassen. Dieser Markt kennt noch keine Börse, nur bilaterale Verträge zwischen Firmen oder Ländern.

Klimaschutz ist also längst zu einem Portfolio in den Unternehmen geworden. War er ursprünglich im Unternehmensbereich Umwelt angesiedelt, kümmern sich nunmehr die Finanzabteilungen darum. „Ein enorm wichtiger Schritt“, meint Edwards. „Die Umwelt bepreisen, eine alte Forderung von Umweltökonomen, hat endlich stattgefunden.“