portrait
: Blasser Schatten einer Ikone

So richtig aufgefallen ist Fatmir Sajdiu nie. Dabei hat der 54-jährige Doktor der Geschichte und Professor für Rechtswissenschaften an der Universität von Priština, der Hauptstadt des Kosovo, lange Zeit wichtige Ämter innegehabt. Schon seit 1991 ist er Generalsekretär der „Demokratischen Liga Kosova“ (LDK), der anfänglichen Nationalpartei der Albaner im Kosovo, die noch heute die stärkste politische Kraft ist. Sajdiu hat sie mit begründet.

Doch wenn man einige sonst gut unterrichtete Journalisten und Beobachter im Kosovo fragt, wer dieser Mann ist, der so lange an der Spitze der Partei steht, bekommt man nur vage Antworten. Dass ihn niemand richtig zu kennen scheint, ist offenbar sein Charakteristikum. Sajdiu ist stets im Hintergrund geblieben, gilt als Apparatschik, der mit dem Strom geschwommen ist, nie angeeckt ist und zuverlässig seine Arbeit macht.

Auch die örtliche Presse musste sich erst ein Bild von dem Mann machen, der nach einigem Wirrwarr vor wenigen Tagen von der LDK als Nachfolger Ibrahim Rugovas vorgeschlagen wurde. Um das Geheimnis um Sajdiu zu lüften, schickte die Tageszeitung Koha Ditore Reporter in das Heimatdorf des Erwählten, das nahe der östlich gelegenen Stadt Podujevo liegt. Die jüngeren Leute kannten ihn nicht, nur die älteren Leute erinnerten sich noch an den schüchternen Jungen. Und immerhin waren sie in der Lage, zu erzählen, der Mann sei verheiratet, seine Frau stamme aus dem Dorf, er habe drei erwachsene Söhne.

In Priština fiel Sajdiu als erfolgreicher Anwalt auf. Und auch seine Studenten sind mit ihm zufrieden. Die Nachbarn schätzen seine Zuverlässigkeit und Zurückhaltung, die sein Wesen auszeichnen. Vielleicht deswegen waren die ersten Stellungnahmen internationaler Politiker mit der Einschätzung verbunden, Sajdiu sei ein „moderater Politiker“. Auch der EU-Außenpolitiker Javier Solana gebrauchte diesen Terminus. Zielte der darauf ab, Sajdiu als einen „weichen“ Verhandlungspartner bei im Februar in Wien beginnenden Gesprächen über den künftigen Status des Kosovo anzusehen, so könnte dies eine Fehleinschätzung sein.

Nämlich darin sind sich alle Beobachter im Kosovo einig: Kein kosovo-albanischer Politiker kann die Forderung nach der staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo zurücknehmen. Auch Sajdiu nicht. Und das entspräche auch gar nicht seinem Charakter. Denn dann müsste er ja selbst Position beziehen und gegen den Strom schwimmen. Eines ist aber sicher. Wenn die Partei Sajdiu nächste Woche endgültig zum Kandidaten der LDK wählt, wird er mit der Stimmenmehrheit der Partei im Parlament auch Präsident Kosovos und Nachfolger Ibrahim Rugovas. ERICH RATHFELDER