„Das Theater ist eigentlich ein Witz“

ABSCHIED Mit dem Programm „5 Tage im Juni“ geht nach sieben Jahren die Zeit von Armin Petras und seinem Ensemble am Gorki-Theater zu Ende. Dann ruft das Stuttgarter Schauspielhaus. Ein Gespräch über Sehnsüchte, Widersprüche, Einsichten

■ In den sieben Jahren der Intendanz von Armin Petras am Gorki-Theater gab es 200 Premieren und ca. 590.000 Besucher.

■ „5 Tage im Juni“ heißt das Abschlussspektakel vom 12. bis 16. Juni, das viele Künstler ein letztes Mal zusammenbringt, darunter die Regisseure Jorinde Dröse, Antú Romero Nunes, Sebastian Hartmann, Jan Bosse, Sebastian Baumgarten. Man wird 18 neue Produktionen und ein wenig Repertoire erleben können.

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Herr Petras, bevor Sie nach Stuttgart gehen, laden Sie ein letztes Mal ins Gorki-Theater zu einem mehrtägigen Spektakel ein, „5 Tage im Juni“ überschrieben, nach einem Roman von Stefan Heym. Warum gerade dieser Roman über die Streiks in der DDR am 17. Juni 1953?

Armin Petras: Das hat mehrere Gründe. Am Anfang unserer Zeit, vor sieben Jahren, haben wir uns gesagt: Wir sind das kleinste Stadttheater und wollen zeigen, was wir können, deshalb haben wir zehn Stücke zur Eröffnung gemacht. Das war nicht falsch. Aber natürlich sollte es nochmal was Politisches sein, was mit unseren sieben Jahren hier und der Geschichte Berlins zu tun hat. Für uns war der Aufstand vom 17. Juni ein wichtiger Punkt als der letzte wirkliche Aufstand gegen die Machthaber. Außerdem hören wir wirklich am 17. Juni auf, der 16. Juni ist der letzte Spieltag unserer sieben Jahre, dann werden wir nur noch feiern.

Ist damit für Sie das Kapitel DDR, dem Sie als Intendant viele Programme, als Autor und Regisseur viele Stücke gewidmet haben, abgeschlossen?

Das ging ja über DDR hinaus, mit Kleist, mit Jonathan Littell, das ging auch um preußische, nationalsozialistische, westdeutsche Geschichte. Weil es sonst in der Theaterlandschaft kaum noch vorkommt, den Fokus auf den Osten zu richten, sind wir damit aufgefallen.

Der Blick in die Geschichte, das wirkte im Gorki-Programm fast wie eine Verpflichtung.

Verpflichtung, das kann man nicht sagen. Das war unsere Idee. Wir haben darüber Themen gefunden und einen Spielplan gemacht, der nicht nur den Kanon des bürgerlichen Theaters dupliziert.

Aber es steckte viel bürgerliche Kultur in Ihrem Spielplan, ein sehr liebevoller Umgang mit der Romanliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts. In den Neunzigerjahren gab es die These, die Zeit der großen Erzählungen, der Sinnstiftungen aus der Geschichte, ist zu Ende. Wollten Sie dem widersprechen mit der Bearbeitung von Romanstoffen?

Ich weiß nicht, ob die Zeit der Erzählungen vorbei ist. Ich glaube schon, dass Geschichte und Erzählung im Zentrum von Theater stehen kann. Aber gut finde ich, wenn es ein Spannungsfeld gibt zwischen verschiedenen Blickwinkeln, und das hatten wir. Dokumentarische Arbeitsweisen, Alltagsgeschichten auf der einen Seite, große Stoffe, wie „Anna Karenina“, auf der anderen.

Über der letzten Spielzeit stand das Motto „Den Aufstand proben“. Das blieb doch ein Wunschbild, eine romantische Ansage.

Ja. Ein wenig ist das auch ironisch auf uns selbst gemünzt, auf unseren Versuch, gegen gängige Formen Theater zu machen. Natürlich ist es auch Quatsch, ein Theater ist a priori ein feudalistisches System innerhalb des Kapitalismus, eigentlich ein Witz, noch älter als die Gesellschaft da draußen. Aber wir haben immer versucht, diese Widersprüche auch deutlich zu machen. Es heißt ja „Aufstand proben“, zu schauen, was gehen könnte. Es gibt ganz verschiedene Formen des Rebellierens, des Körpers, des Vergessens, darüber denken die Inszenierungen der „5 Tage im Juni“ auch nach.

In den sieben Jahren, als Sie Intendant waren, haben Sie viele unterschiedliche Gruppen an das Haus gebracht. Nicht nur abends kamen viele Schulklassen zu den Vorstellungen, die waren auch tagsüber da.

Weil wir jeden Tag, von zehn bis fünfzehn Uhr, Workshops gemacht haben – zu den Inszenierungen. Das ist für mich ein schönes Moment hier, man geht durch das Haus, es ist immer Lärm, es sind immer Leute hier. Das ist total schön. Und man hat das Gefühl, man tut was für die Rente, dass es da immer noch Leute geben wird, die ins Theater gehen.

Was haben Sie selbst am Gorki-Theater für das Handwerk des Intendanten gelernt?

Für alles, was ich lerne, verliere ich etwas auf der anderen Seite. Da man eh jeden Tag etwas verliert, muss man sich anstrengen, auch ständig dazuzulernen. Eine Sache habe ich erkannt, die ich noch nicht kann: Das ist Lobbyarbeit. Das habe ich in Berlin zu wenig gemacht. Das ist einer der Gründe, weshalb wir nicht die finanziellen Möglichkeiten erhalten haben, hier noch zwei, drei Jahre weiter zu machen.

Als man 2012 erfuhr, dass Sie nach Stuttgart wechseln, nannten Sie die Unterfinanzierung des Gorki-Theatersaals einen Grund. Das war eine deutlich ausgesprochene Kritik an der Kulturpolitik. Jetzt erscheint ein Buch, das auf die sieben Jahre zurückblickt, mit dem Titel „Offene Rechnungen“ – und zu meiner Überraschung findet man da diese Rechnung nicht.

Das ist nicht meine Art, Leute zu beschuldigen, das will ich nicht. Ich bin kritisch mit mir selber. Ich persönlich habe es nicht geschafft, so viel Überzeugung für das Haus zu mobilisieren, dass es uns möglich gewesen wäre, aus der eigenen Ausbeutung auszusteigen. In einer Stadt mit vielleicht 200 Kultureinrichtungen, die alle zu kämpfen haben, ist das nicht besonders erstaunlich.

Dass Sie nicht viel Energie in Lobbyismus gesteckt haben, wundert mich nicht, bei dem schnellen Produktionstempo.

Wenn Sie der Liebe Gott wären, dann wäre das auch meine Entschuldigung. Aber Sie sind nicht der liebe Gott, deshalb kann ich mich so nicht rausreden. Das war ein Fehler.

Wie fühlt sich das hohe Tempo, die vielen Produktionen im Rückblick an? Erhöhte Flüchtigkeit? Oder ist auch was geblieben, was langfristig Spuren hinterlässt?

Eine Sache habe ich erkannt, die ich noch nicht kann: Das ist Lobbyarbeit. Das habe ich zu wenig gemacht

Wir hatten alle die Jahren ein starkes Ensemble. Das sieht man auch daran, dass die Schauspieler, die nicht mit nach Stuttgart kommen, Engagements an den ganz großen Theatern gefunden haben. Also waren wir keine schlechte Schule. Unser Ensemble wird geschätzt. Und wenn ich an die Inszenierungen denke, dann sehe ich nicht den Fehler, dass sie zu schnell oder überhastet entstanden wären, sondern dass ein paar Inszenierungen zu angepasst waren.

Nehmen Sie Inszenierungen von Berlin nach Stuttgart mit?

Ja, „Die Räuber“ von Antú Romero Nunes, „Der Besuch der Alten Dame“, „Das Erdbeben von Chili“ und andere.

In Berlin haben Sie sich intensiv auf die Stadt und ihre Geschichte eingelassen.

Und das werden wir in Stuttgart auch tun. Spurensuche steht da im Zentrum der Arbeit neben der neuen Bürgerlichkeit, denn Stuttgart ist die erste Stadt, die sowohl einen grünen Bürgermeister hat, als auch eine grüne Landesregierung. Das ist ein Pilotprojekt für ganz Deutschland.

Der Autor Einar Schleef hat in den letzten Jahren am Haus eine große Rolle gespielt. Vor Ihrem Büro zitiert ihn ein Plakat: „Das Theater ist am Endpunkt angelangt und wird noch schlechter.“

Schleef hat eine künstlerische und menschliche Radikalität an den Tag gelegt, die ich mir wünsche, die ich aber gar nicht aushalten würde. Da gibt es eine Sehnsucht, diese Radikalität zu leben, und dann merkt man, nein, so ist man nicht. Mit diesem Widerspruch muss man umgehen.