ERIC BONSE ÜBER DEN STREIT ÜBER DAS ANLEIHEPROGRAMM DER EZB
: Bornierte deutsche Brille

Was wäre gewonnen, wenn Deutschland die EZB ausbremst, während Südeuropa unterginge?

Man stelle sich einmal vor, ein Franzose, nennen wir ihn Monsieur Dupont, würde mit einem anderen Franzosen, Monsieur Picon, vor einem französischen Gericht über die Europapolitik streiten. Beide wären ehemalige Regierungsberater, das Gericht hätte nur französische Experten bestellt, und vom Ausgang ihres Streits hinge das Schicksal der gesamten Eurozone ab.

Was würden wir dazu sagen? Dass das eine feine Sache ist – oder ein absurdes Theater, eine französische Farce? Vermutlich Letzteres. Genau diese Szene spielt sich derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ab. Dupont heißt in Wahrheit Weidmann und ist Bundesbankchef, Picon heißt Asmussen und vertritt die Europäische Zentralbank (EZB).

Vom Ausgang ihres Streits hängt das Schicksal der gesamten Eurozone ab. Denn setzt sich Weidmann durch, könnte das umstrittene Anleihekaufprogramm der EZB zum Erliegen kommen. Dann dürfte die Spekulationswelle gegen den Euro, die EZB-Chef Draghi nur mit der Drohung gebändigt hatte, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, von vorne beginnen.

Die Leidtragenden wären zuallererst Italien und Spanien, die im vergangenen Jahr fast über die Klippe gesprungen wären. Aber auch Frankreich, Belgien und die Niederlande könnten bei einem Wiederaufflammen der Spekulation massiv unter Druck geraten. Aber in Deutschland wird die Diskussion so geführt, als gehe es einzig und allein um uns, um unsere Verfassung, unser Parlament, unser Geld.

Diese nationale Engführung ist das zentrale Problem bei dem Prozess in Karlsruhe. Die Kläger haben ja in vielem recht: Natürlich agiert die EZB hart an der Grenze des rechtlich Zulässigen. Natürlich ist EZB-Chef Draghi nicht demokratisch legitimiert. Und natürlich geht es um das Geld deutscher Steuerzahler. Aber eben auch um das der Franzosen, Italiener, Spanier, sogar der Griechen. Dieser Prozess müsste daher vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg stattfinden. Es dürften nicht nur deutsche Experten zu Wort kommen, es sollte auch um die Interessen der Bürger und Steuerzahler im Süden gehen. Den deutschen Fachleuten ist es egal, ob der Rest Europas leidet. Sie blicken nur auf Stabilität und Legalität, die Gefahr eines Zusammenbruchs der Eurozone blenden sie aus.

Die Südeuropäer indes haben die Erfahrung gemacht, dass weder Stabilitätspakt noch Spardiktat geholfen haben. Geholfen hat nur Draghis Drohung mit dem Anleihenkauf. Ob das Bundesverfassungsgericht in der Lage ist, das zu würdigen, daran muss man große Zweifel haben. Gerichtspräsident Voßkuhle will nur eine mögliche Kompetenzüberschreitung der EZB prüfen – und nicht darüber sprechen, ob deren Eingreifen nötig oder gar erfolgreich war. Genau das ist auch das Problem mit Monsieur Dupont alias Weidmann. Auch der Bundesbank-Chef hat bisher nicht erkennen lassen, dass er die bornierte deutsche Brille absetzen und die europäische Dimension mitdenken kann. Weidmann argumentiert immer noch so, als gehe es um die reine Lehre. Der ehemalige Merkel-Berater tritt auf, als gehe es nur um deutsches Geld.

Aber die Geldpolitik findet, da hat sein Gegenspieler Asmussen völlig recht, nicht im luftleeren Raum statt. Sie muss berücksichtigen, was auf den Märkten passiert: Merkel und ihre Verbündeten hatten es im letzten Sommer nicht geschafft, die Spekulation zu bändigen. Und sie muss sicherstellen, dass niedrige Zinsen überall ankommen, nicht nur in Deutschland. Im Streit zwischen Dupont und Picon hat der Vertreter der EZB die besseren Argumente. Das heißt aber nicht, dass die Kläger im Unrecht wären. Im Gegenteil: Einige ihrer Anliegen, etwa die demokratische Legitimation, sind für Europa und das Überleben des Euro zentral. Aber auch sie können nur auf europäischer Ebene durchgesetzt werden.

Denn was wäre schon gewonnen, wenn Deutschland die EZB ganz demokratisch ausbremsen dürfte, während Südeuropa, plötzlich schutzlos geworden, unterginge? Nichts. Wer Demokratie in der Währungsunion fordert, muss sich auch der Willkür der Märkte und der Diktatur der Sparkommissare widersetzen. Doch darüber wird in Karlsruhe nicht verhandelt, leider. Irgendwie ist dieser deutsche Prozess dann doch ein absurdes Theater.

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