„Ich hätte auf dem Arbeitsmarkt keine Chance“

Schleswig-Holstein hat derzeit 160.000 Arbeitslose und vereint alle Probleme auf begrenztem Raum – „wie in einer Laborsituation“, sagt Arbeitsminister Uwe Döring. Deshalb soll es Modellregion werden

Interview: Esther Geißlinger

Erfreuliche Nachrichten aus der Arbeitsmarktpolitik? Damit kann derzeit niemand aufwarten: Die Arbeitslosenzahlen sind nach einer kurzen Entspannung Ende des vergangenen Jahres wieder gestiegen, die 5-Millionen-Marke ist erneut überschritten. Mitte der Woche legte Bundesarbeitsminister Franz Müntefering zudem eine von der SPD in Auftrag gegebene Studie über die bisherigen Effekte der großen Arbeitsmarktreform vor. Das Ergebnis: niederschmetternd. Einige der durch die Hartz-Gesetze geschaffenen Steuerungs-Instrumente, wie etwa die Personal Service Agenturen, wirken geradezu kontraproduktiv – sie verschlechtern die Chancen der Beschäftigten sogar noch. Bloß keine übereilten Schlüsse, war seine Devise. Aber die konkreten Maßnahmen obliegen jetzt ohnehin den einzelnen Bundesländern: Welche Spielräume haben sie? Die taz nord befragte den Arbeitsminister Schleswig-Holsteins, Uwe Döring (SPD), nach Frustrationspotenzial und Erfolgsaussichten seiner Arbeit – und dazu, was er vom Kombilohn-Alleingang Niedersachsens (siehe Text unten) hält.

taz: Heute Arbeitsminister zu sein, ist frustrierend, oder, Herr Döring?

Uwe Döring: Ja. Nein. Ja, aber. Es ist eines der wichtigsten Ämter – und es gibt manchmal Erfolge. Und alles, was leicht fällt, ist langweilig.

An einige Schrauben kann die Politik drehen – zurzeit in Mode ist der Kombilohn. Sie haben im Landtag gesagt, er sei keine Wunderwaffe, könne aber sinnvoll sein. Wie sieht Ihr Modell aus?

Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die aufgrund ihrer Qualifizierung kein vernünftiges Einkommen erzielen können, und es ist besser, wenn sie arbeiten, als wenn sie nur Geld bekommen. Aber der Kombilohn darf nicht als flächendeckende Grundfinanzierung verstanden werden – die Folge wäre Lohndumping, Arbeitgeber würden Stellen in den Niedriglohnsektor überführen. Ein Kombilohn kann grundsätzlich nur zeitlich begrenzt sein. Ich sehe Chancen bei einer Änderung des Hinzuverdienstmodells beim Arbeitslosengeld II – jemand findet eine Stelle, der Lohn wird aufgestockt, in dem das Arbeitslosengeld II erstmal weiter fließt. Daneben gibt es Menschen, die auf Dauer in einem subventionierten Arbeitsplatz untergebracht werden müssen. Die könnten so genannte Zehn-Minuten-Dienstleistungen verrichten.

Was verstehen Sie darunter?

Ich hatte gerade einen Maler im Haus. Der hat aber die Lampe nicht abmontiert – er sei kein Elektriker. Also wird das der Minister selbst machen. Aber was ist mit Oma Meier, die nicht auf die Leiter kommt? Dafür kriege ich keinen Handwerker, aber ich kann diese Dienstleistungen bündeln. Ich möchte aber nicht zu den Beschäftigungsgesellschaften zurück, die in Konkurrenz zu den Betrieben traten. Was man braucht, ist eine Anstellungsgesellschaft, die mit den Handwerkern zusammenarbeitet.

Sie könnten sich vorstellen, aus Schleswig-Holstein eine Modellregion zu machen, um diese Ideen zu testen. Niedersachsen sagt: Wir fangen im Juli an. Sind die Schleswig-Holsteiner dröger, oder mögen Sie die Arbeitslosen nicht so gerne?

Weder noch. Aber ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, dass ich Steuergelder verbrenne. Das Modell in Niedersachsen wird keinen Erfolg haben, weil es einfach zu kurz gesprungen ist – das ist eine PR-Maßnahme. Ich brauche die Unterstützung aus Berlin, weil die Finanzierung nur so hinzukriegen ist. Und vor allem brauche ich die Unterstützung der Unternehmen – ein tolles Projekt nützt nichts, wenn kein Betrieb mitzieht. Darin lag der Erfolg unseres Elmshorner Kombilohnmodells vor einigen Jahren – das hat sogar Geld eingespart.

Haben Sie in Berlin schon nachgefragt, ob das Land Modellregion werden kann?

Ich bin einigermaßen zuversichtlich – beides sind große Koalitionen, beides sind SPD-Arbeitsminister. Und wir haben in Schleswig-Holstein alle Probleme wie in einer Laborsituation: Das gut versorgte Hamburger Umland, strukturschwache Gebiete wie die Westküste, einen grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt mit Dänemark, großstädtische Probleme in Lübeck und Kiel. Aber eines ist wichtig: Niemand darf verkünden, man könne mit einem Masterplan die Arbeitslosigkeit wegkriegen. Der letzte, der das glaubte, war Peter Hartz.

Wenn der Kombilohn käme, würde das den Ein-Euro-Job ergänzen oder gar ablösen?

Wir haben heute eine Vielzahl von Instrumenten, die teilweise miteinander konkurrieren, die wird man da zusammenfassen müssen. Der Bund wird im Herbst seine Vorstellungen präsentieren. Ob die Ein-Euro-Jobs wegfallen können, wird man dann diskutieren müssen.

Diskutiert wurde, Arbeitslose zu Ernteeinsätzen zu schicken – in einigen Wochen beginnt die Spargelernte. Müssen die Arbeitslosen ran?

Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind nicht gut. Der Bauernverband sagt: um Gottes Willen. Es ist eine Frage der Anreize: Für deutsche Arbeitslose sind sie nicht hoch genug, während polnische Menschen aus Polen sich teilweise sogar Urlaub nehmen für die Ernteeinsätze. Wir müssen uns also überlegen, wie wir Anreize schaffen für die deutschen Arbeitslosen.

Hartz IV sieht ja negative Anreize vor: Wer Arbeit ablehnt, dem werden die Bezüge gekürzt.

Die Bauern werden begeistert sein. Man muss es versuchen, aber ich bin sehr skeptisch, ob das klappt.

Mal weg von der Tagespolitik – was würde der Arbeitsminister mit ganz viel Geld gern machen, um die Arbeitslosigkeit zu senken?

Ich fürchte, das ist keine Geldfrage. Wir müssen gesellschaftlich viel verändern. Es haben sich Parallelgesellschaften entwickelt – es gibt Familien, da haben die Kinder nie gesehen, dass die Eltern zur Arbeit gehen. Die Schule schafft es leider oft nicht, auf das Arbeitsleben vorzubereiten. Mir macht Sorgen, dass wir jährlich Nachschub für die Arbeitslosigkeit aus den Schulen entlassen. Wenn es uns nicht gelingt, den Menschen zu vermitteln, dass sie gebraucht werden, werden wir ganz schweren Zeiten entgegen gehen – französische Verhältnisse kann es auch in deutschen Städten geben.

Glauben Sie, dass wir je wieder Vollbeschäftigung haben werden?

Politiker sollen ja nie Zahlen nennen, aber ich schätze, auch bei einem florierenden Markt werden wir eine Sockelarbeitslosigkeit von rund 1,8 Millionen haben. Auf Schleswig-Holstein übertragen: Wir haben zurzeit 160.000 Arbeitslose, ich schätze, der Sockel liegt bei zirka 50.000 Personen. Ausgrenzen können wir sie nicht – das wird das Thema der nächsten Jahre sein. Und wenn ich parteipolitisch werde: Es ist ein sozialdemokratisches Thema. Es gibt keine Patentlösung, es wird schwierig, aber das heißt ja nicht, dass man es nicht versuchen muss.

Ein zweites Thema: Die Arbeitnehmer werden älter. Bauchen wir andere Arbeitsplätze?

Erstmal muss man den Arbeitgebern klar machen, dass Ältere leistungsfähig sind – das sehen Sie an mir. Ich wäre ja ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt, dabei bin ich durchaus noch fit. Und wenn ich mit Leuten meiner Alterskohorte spreche, sage ich: Ihr haltet euch für leistungsfähig, warum gilt das nicht für eure Angestellten? Ältere arbeiten vielleicht nicht so schnell, aber dafür sorgfältig.

Herr Glos will im kommenden Jahr 350.000 Arbeitslose in der Bundesrepublik weniger haben – wie viel hätten Sie denn gern für Schleswig-Holstein?

Da werden Sie mich nicht zu einer Zahl überreden – die holt mich ein. Aber ich hoffe, wir haben in einem Jahr weniger Arbeitslose als heute.