piwik no script img

THEATER

betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Nun sind wir längst im 21. Jahrhundert. Doch statt sich für überwunden erklären zu lassen, wirft das 20. Jahrhundert immer noch seine Schatten in die Gegenwart. Besonders in diesem Jahr, wo unter der Überschrift „Zerstörte Vielfalt“ in der ganzen Stadt an das Jahr 1933 erinnert wird: das Jahr, in dem die Nazis von den Deutschen an die Macht gewählt wurden. Achtzig Jahre ist das inzwischen her. Und so stehen vielerorts Litfaßsäulen mit Texten und alten Fotografien, um an das zu erinnern, was damals verloren ging. Aber nicht nur: manchmal wird auch Theater gespielt, im Jüdischen Museum zum Beispiel: Aus Anlass des 80. Jahrestages der Bücherverbrennung gibt es dort heute ein berühmtes Stück jiddischer Literatur: den Monolog „Yossel Rakovers Vendung tsu Got“ von Zvi Kolitz. Der Text verhandelt die Frage, wie man nach dem Holocaust überhaupt noch an Gott glauben kann, und Yossel Rakover, der Protagonist und Ringer mit und um Gott, kommt zu dem entwaffnenden Ergebnis: „Ich werde immer an dich glauben, dir selbst zum Trotz!“ Es inszeniert der deutsch-israelische Regisseur Arie Zinger, der seine Theaterlaufbahn dereinst als Regieassistent Peter Zadeks begann. Yossel Rakover wird von Tilo Werner gespielt, der zu diesem Zweck die jiddische Sprache erlernte. (Jüdisches Museum: „Yossel Rakovers Vendung tsu Got“, 13. 6., 20.00 Uhr).

Im Jahr 1946, als Zvi Kolitz im Exil von Buenos Aires seinen Monolog zu Papier brachte, starb der Komponist Paul Lincke. Als junger Mann zu klein, um preußischer Militärmusiker zu werden, machte er dann im kaiserlichen Berlin als Operettenkomponist Furore. Sein berühmtestes Werk wurde 1899 uraufgeführt: die fortschrittstrunkene wie schrullige Gründerzeitoperette „Frau Luna“, wie geschaffen, um von Regisseur Herbert Fritsch durch den Schredder seines Turbo-Theaters gejagt zu werden: Im Zentrum der Mechaniker und stark verliebte Fritz Steppke, der an einem Ballon bastelt, der zum Mond fliegen kann und selbiges im Lauf der Handlung dann auch tut. (Volksbühne: „Frau Luna“, Premiere 19. 6., 19.30 Uhr).

In unserem trüben Heute ist manchmal schon der nächste Mensch so weit weg wie dereinst der Mond, den wir heute fast mit links erreichen. Von den Entfernungen, die Menschen voneinander und ihren Träumen trennen, handelt das neue Stück von Falk Richter „For the Disconnected Child“. Das Musiktheaterprojekt ist eine Koproduktion zwischen Schaubühne und Staatsoper. (Schaubühne: For the Disconnected Child, Uraufführung 14. 6., 20 Uhr.)

■ Mehr Theater: A Plastic Dream SEITE 3

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen