Der Versöhner

DOMINIK GRAF bringt mit seiner Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ Kino und Fernsehen zusammen

Wollen Kritiker einen Kinofilm so richtig schön in die Tonne kloppen, nennen sie ihn gern „aufgepumptes Fernsehen“ und sprechen ihm damit die Eignung für die große Leinwand pauschal ab. Ein Indiz dafür, dass die Beziehung von Kino und Fernsehen in Deutschland keine leichte ist – gerade weil beide Seiten aufeinander angewiesen sind: Das Kino braucht, auch wenn es lieber ohne auskäme, die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem Geld als Koproduzenten, und die Sender werten durch TV-Premieren von Kinofilmen ihr Programm und damit auch ihr Image auf.

Wenn eine deutsche Fernsehserie auf einem deutschen Filmfestival Premiere feiert, ist das also etwas Besonderes: Am Wochenende wurde „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf im Forum der Berlinale diese Ehre zuteil. Der Kritikerliebling gehört zu den wenigen Regisseuren in Deutschland, die Fernsehen und Kino miteinander versöhnen. Und doch schien der 57-Jährige sich seiner Sache nicht ganz sicher zu sein. Vor dem Screening der ersten fünf von insgesamt zehn Folgen der Serie, die im April bei Arte und im Oktober im Ersten startet, stand Graf sichtlich angespannt auf der Bühne des Delphi Filmpalasts am Bahnhof Zoo, wo er in den 70ern und 80ern Monumentalfilme wie „Lawrence von Arabien“ gesehen hat und nun sein eigenes Opus magnum präsentierte. Für den Nachmittag angesetzte Interviews hatte er kurzfristig abgesagt. „Hoffentlich, hoffentlich gefällt’s euch“, sagte er und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich geh jetzt wieder auf meinen Platz und verkriech mich unterm Sitz.“

Er konnte schnell wieder rauskommen, weil das Publikum von der ersten Minute an fest entschlossen wirkte, Graf und seine Krimiserie über die Russenmafia in Berlin und die Polizisten, die sie verfolgen, dermaßen frenetisch zu feiern, dass es fast schon ferngesteuert wirkte. Auch wenn die Begeisterung gemessen am Ergebnis einen Tick zu hysterisch war – die Fernsehserie jedenfalls haben Graf und Drehbuchautor Rolf Basedow nicht neu erfunden –, geht der freundliche Empfang grundsätzlich schon in Ordnung, denn „aufgepumpt“ sind „Im Angesicht des Verbrechens“ tatsächlich nur die Türsteher, die die Eingänge zur russischen Parallelwelt in Berlin bewachen.

Nach dem Screening war Dominik Graf erleichtert („Ich kann gar nicht beschreiben, was mir der Beifall bedeutet hat“) und der WDR als federführender Sender bei diesem Projekt in Feierlaune. Beim Empfang im Hotel Savoy gegenüber dem Kino, bei Wodka und russischen Häppchen, machte seine Hauptdarstellerin Marie Bäumer ihrem Regisseur Dominik Graf eine „offizielle Liebeserklärung“, lobte seine Hingabe bei der Arbeit, gepaart mit einer „außerordentlichen handwerklichen Brillanz“. Ein Urteil, dem sich ausnahmsweise sogar die Kritiker bedingungslos anschließen konnten.

DAVID DENK