ORANIENBURGER
: Rostige Nägel

Ging Selbstmord als Kunstaktion durch

Wie Ed Ruscha hatte Holger früher Setzer gelernt und wie der Westcoast-Künstler wanderte er durch die Stadt und fuhr über Land immer mit einem Auge für die Wörter. Wegweiser, Werbung auch, doch vor allem einfach Wörter. Tankstelle zum Beispiel, Wasserspeicher, Windrad, was man so sah aus dem Fenster im Vorbeifahren. Force Fields, wie Ruscha sagte, Kraftfelder. Ein unbewusst funktionierendes komplexes System aus Landschaft, Architektur, Stimmung, Projektion, und dann Exportieren als Mix und Montage im Bild oder in raumgreifender Installation, neuerdings wieder öfter, schon wegen der Dreidimensionalität. Obwohl, Ruscha zumindest hatte das auch ganz gut in Öl gemalt bekommen in „Large Trademarks“, später dann in „Ripe“ und in „Los Angeles County Museum on Fire“ natürlich, ganz großartig, dachte Holger jetzt im Gehrausch.

Auguststraße, Oranienburger und dann stand er auch schon vor der sogenannten Streetart am Tacheles. Graffiti, Illegales, Bedrohtes (von wegen Kraftfelder). „Choose“ stand da oder in Riesenlettern an der Ostseite: „How long is now“. Nicht mehr lange, dachte Holger wehmütig und erinnerte sich, wie sie im Tacheles drinnen recht bald alle sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen hatten, dabei lief es eigentlich immer ganz gut. Zeitweise war ja jeder rostige Nagel zu Geld zu machen gewesen, die Touristenbusse und so. Ging auch schon mal ein Selbstmord als Kunstaktion durch, Video inklusive; Jägermeister und präventiv-therapeutischer Beischlaf, hatte alles nichts mehr geholfen. In dieser verrückten Stadt ist einfach nichts abwegig, hatte einer gesagt, als unabweislich klar war: Das ist echt, die ist tot, keine Performance. „Rape“ stand an einer anderen Wand, und Holger fügte in Gedanken hinzu: Kaufhaus, Passage, Zentralbodenamt, AEG Haus der Technik, Tiefkeller (geflutet).SASCHA JOSUWEIT