Vernetzt und verfranst

In der kritischen Phase der Resignation: Ein Jahr, nachdem das Verfassungsgericht den Weg fürs Bezahlstudium frei gemacht hat, fürchten die Gebühren-Gegner das Verläppern ihres Widerstands

von Marc-André Rüssau

Normalerweise feiern die Schiffsbauer in der „Baracke“ der TU Harburg raue Feste. Heute herrscht hier zwischen Brauerei-Fahnen und „Hansesail“-Trophäen Jugendherbergs-Atmosphäre. Die norddeutschen Aktivisten gegen Studiengebühren beginnen ihr Vernetzungstreffen am Samstag mit Tee und Honigbrot.

Die Ankündigung klingt nach Problem-Sitzung: Der Protest stecke in der „kritischen Phase von Resignation“, gerade jetzt tue Vernetzung not, mahnt die E-Mail. Gekommen sind etwa 25 Studierende aus Norddeutschland – und einer aus Freiburg. Lukas Schäfer will die Veranstaltung nutzen, um ein Propaganda-Fahrzeug zu organisieren: „Wir planen mit einem Bus den Wahlkampf in Baden-Württemberg kritisch zu begleiten.“ Den südwestdeutschen Unis fehlt es an einer verfassten Studierendenschaft – und damit an Geld für Aktionen.

Vielleicht, so spekuliert der Physikstudent, erbarmt sich ja eine norddeutsche Stadt, einen Polit-Bus in den Süden zu verleihen. „Wichtig ist: wir kämpfen jetzt für eine Verbesserung des ganzen Bildungssystems“, erklärt Lukas, nur gegen Studiengebühren zu protestieren, das sei „einfach nicht mehrheitsfähig.“

Hierzulande haben das die Aktivisten längst erkannt: Die vierte Norddemo, die im Dezember nach Hamburg und Hannover in Bremen stattfand, richtete sich gleich gegen den ganzen „kapitalistische Verwertungsdruck“ und die „Entsolidarisierung der Gesellschaft“.

Immerhin, der Feind bleibt klar umrissen: Lukas Schäfer kann mit der Ex-BW und aktuellen Bundesbildungsministerin Annette Schavan auftrumpfen, auf die „bei uns alle nicht gut zu sprechen sind.“ Rafael Maria Raschkowski aus Göttingen erzählt vom neuen Präsidenten der Uni, einem Naturwissenschaftler durch und durch, der „in Geisteswissenschaften keinen Sinn sieht“ und der die Politikwissenschaften dicht machen will. Alles Neoliberalisierung. Bei einer Schale Müsli klärt Rafael außerdem über die Organisationsform des studentischen Protestes auf: „Wir sind alle als Privatpersonen da.“ Kein AStA entsendet offiziell hierher, Tagesordnungen, Hierarchisierung und Institutionalisierung bekämen dem Protest nicht gut.

Allerdings hat der „Summer of Resistance“, zu dem die Studenten aufriefen, als das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr den Weg für Studiengebühren frei machte, im Norden nicht viel bewegt. Bis auf Mecklenburg-Vorpommern, wo allerdings gerade mal 25.000 Studenten eingeschrieben sind, drohen überall Studiengebühren. 500 Euro ab Winter 2006 wollen die CDU-regierten Länder Hamburg und Niedersachsen erheben, die große Koalition in Kiel hat sich darauf verständigt, dass es in Schleswig-Holstein auf Dauer keine „Insellösung“ geben wird. Und ähnliches hört man derzeit aus Bremen.

Vielleicht resultiert aus dem Misserfolg eine gewisse Dünnhäutigkeit bei den versammelten Aktivisten. Denn relativ schnell ist das Plaudern beim Frühstück wieder vorbei.

Ein offensichtlich höheres Semester, kampferprobt in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit, fühlt sich zuerst gestört: Die Frage, ob die Presse bei so einem Vernetzungstreffen anwesend sein darf, müsse erst im Plenum entschieden werden. Von den Anwesenden will niemand eingeladen haben – gut möglich, dass der Verantwortliche nicht mehr dabei ist.

Ein jüngerer Aktivist schaut hinter seinem Laptop hervor, und findet das alles ganz allgemein unverschämt. Die Türen werden geschlossen, das Plenum diskutiert ausufernd, nach einer dreiviertel Stunde geht die Presse freiwillig. Schließlich soll dem resignierenden Protest nun nicht auch noch der Zeitplan weiter durcheinander kommen. Speziell um den angekündigten Arbeitskreis „Wie aus der ‚Halböffentlichkeit‘ rauskommen? Anziehung – Transparenz“ wäre es schade.